EuGH-Urteil Polnische Justizreform verstößt gegen EU-Recht

Luxemburg/Warschau · Jahrelang wurde gestritten, aber jetzt ist es amtlich: Polen verstößt mit seiner Justizreform von 2019 gegen EU-Recht. Das entschied am Montag der Europäische Gerichtshof in Luxemburg und gab damit einer Klage der EU-Kommission statt.

Ein Schild mit der Aufschrift «Cour de Justice de l'union Européene» steht vor dem Europäischen Gerichtshof (Symbolbild).

Ein Schild mit der Aufschrift «Cour de Justice de l'union Européene» steht vor dem Europäischen Gerichtshof (Symbolbild).

Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch

Justizkommissar Didier Reynders begrüßte das Urteil in Brüssel. „Heute ist ein wichtiger Tag zur Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz in Polen“, erklärte er. (Az: C-204/21)

Dem EuGH zufolge untergrub insbesondere die polnische Disziplinarkammer für Richter die Unabhängigkeit der Justiz. Das mit regierungsnahen Vertretern besetzte Gremium konnte missliebige Richter entlassen oder bestrafen. Zwar schaffte Polen die Kammer im Juli 2022 per Gesetz wieder ab. Dieser Schritt allein reicht allerdings nicht aus, um die Gewaltenteilung in Polen zu garantieren, wie die EU-Kommission bereits im vergangenen Jahr feststellte.

Die EU-Kommission geht seit Anfang 2016 wegen mehrerer Justizreformen gegen Polen vor. Sie wirft der nationalkonservativen Regierung in Warschau vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden und die Gewaltenteilung zu untergraben.

Herzstück der polnischen Justizreformen war die 2018 geschaffene, 2019 nochmals neu ausgerichtete und dann wieder abgeschaffte Disziplinarkammer. Sie war beim Obersten Gericht angesiedelt und für Disziplinarverfahren gegen Richterinnen und Richter der ordentlichen Gerichte und auch des Obersten Gerichts selbst zuständig. Die Mitglieder der Kammer wurden auf Vorschlag des Landesjustizrats vom polnischen Präsidenten berufen. Der Landesjustizrat wird von der Abgeordnetenkammer gewählt.

Die Disziplinarkammer verwarf der EuGH zunächst im Eilverfahren als rechtsstaatswidrig. Im April 2021 verhängten die Luxemburger Richter deswegen gegen Polen ein Zwangsgeld von einer Million Euro täglich. Dieses wurde im April 2023 nach Abschaffung der Disziplinarkammer halbiert.

Nun stellten die obersten EU-Richter auch im Hauptverfahren fest, dass die Disziplinarkammer gegen EU-Recht verstieß. Gleiches gilt für parallel erfolgte weitere Änderungen, etwa bei der richterlichen Disziplinarordnung. Das bislang gegen Polen festgesetzte Zwangsgeld läuft damit aus formalen Gründen aus, die EU-Kommission kann aber erneut ein Zwangsgeld beantragen.

Dabei bestätigten die Luxemburger Richter zunächst ihre eigene Zuständigkeit, „zu überprüfen, ob ein Mitgliedstaat Werte und Grundsätze wie Rechtsstaatlichkeit, wirksamen Rechtsschutz und Unabhängigkeit der Justiz beachtet“. Von diesem „Grundwert der Union“ könne sich ein Land auch nicht unter Berufung auf die eigene Verfassung lossagen.

Weiter bestätigte der EuGH den Vorwurf der Kommission, dass die Wahl der Richter der Disziplinarkammer nicht die Anforderungen an deren Unabhängigkeit erfüllte. Allein die Aussicht, dass diese Kammer dann über sie entscheiden könnte, beeinträchtige die Unabhängigkeit der Richterschaft insgesamt.

Gleichzeitig sei den Richtern weitgehend die Möglichkeit genommen worden, gegenseitig ihre Unabhängigkeit zu überprüfen. Zudem habe Polen die Überprüfung eines wirksamen Rechtsschutzes nur einer einzigen Instanz übertragen, nämlich der „Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten“ des Obersten Gerichts. Auch diese Maßnahmen schwäche das verankerte EU-Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsschutz.

Schließlich rügte der EuGH auch Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Richter. So müssten sie Angaben auch zu früheren Mitgliedschaften in Parteien, Vereinen und Stiftungen machen, die im Internet veröffentlicht würden. Dies setzte sie „der Gefahr einer unzulässigen Stigmatisierung“ aus.

Das nun ausgelaufene Zwangsgeld muss Polen laut Urteil rückwirkend voll bezahlen und kann nun mit weiteren gesetzlichen Änderungen auf die Kritik der obersten EU-Richter reagieren. Sollte die EU-Kommission zu der Überzeugung gelangen, dass Polen die Luxemburger Rügen unzureichend berücksichtigt und auch künftig die richterliche Unabhängigkeit nicht gewährleistet, kann sie erneut gegen Polen klagen und Zwangsgeld fordern.

Justizkommissar Reynders rief die Regierung in Warschau nun auf, das Urteil vollständig umzusetzen. Weitere Rückschritte in der Organisation der Justiz dürfe es in Polen nicht geben, mahnte er an. Zu dem weiteren Vorgehen beim Zwangsgeld ab es aus Brüssel jedoch vorerst keine Angaben.

(felt/AFP)
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