Schwelle für Schadenersatz abgesenkt EuGH stärkt Verbraucherrechte im Dieselskandal
Luxemburg · Ein ganzes Jahr nahm sich der Europäische Gerichtshof Zeit, um über die Thermofenster-Problematik beim Dieselskandal zu entscheiden. Nun sind sie zu einem Ergebnis gekommen, das Diesefahrer freuen dürfte.
Mit neuen Grundsätzen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag Bewegung in die juristische Aufarbeitung des Dieselskandals beim Thema Thermofenster gebracht. Wenn Hersteller eine Vorrichtung einbauen, die die optimale Abgasreinigung auf bestimmte Temperaturbereiche konzentriert, kann dem Käufer ein Schadenersatz zustehen, entschieden die Luxemburger Richter in einem in Ravensburg anhängigen Fall. Sie engten dabei die Möglichkeiten der Autobauer ein, solche Abschalteinrichtungen ausnahmsweise als erlaubt ansehen zu können. Das hat Auswirkungen auf zahlreiche andere Verfahren und nimmt die Bundesregierung in die Pflicht.
29.999 Euro zahlte im März 2014 ein Fahrer für einen gebrauchten Mercedes. Der Diesel C 220 CDI hatte nach einem Jahr 28.591 Kilometer auf dem Tacho und verfügte über die Schadstoffklasse Euro 5. Vor allem bescheinigte der Hersteller, dass das Auto sämtliche Voraussetzung für eine Typenzulassung erfülle. Weil jedoch im Zuge des Dieselskandals herauskam, dass auch der Motor dieses Fahrzeuges bei niedrigen Außentemperaturen die Abgasrückführung drosselt, verlangte der Käufer Schadenersatz. Die Erfolgsaussichten sahen zunächst eher schlecht aus.

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Drei Umstände sprachen gegen einen Erfolg seiner Klage. Einerseits argumentierte Mercedes, dass die reduzierte Abgasrückführung allgemeinem Industriestandard entspreche, um bei niedrigen Temperaturen unerwünschte Ablagerungen an Bauteilen zu verhindern und den Motor zu schützen. Das entspreche auch den im EU-Recht vorgesehenen Ausnahmeregelungen. Dabei gab es in Ravensburg keinen Widerspruch zur Feststellung, dass die Abschaltvorrichtung auch schon auf „niedrige“ Temperaturen oberhalb von null Grad reagiere.
Andererseits hatte der Bundesgerichtshof in anderen Verfahren zum Dieselskandal entschieden, dass ein Schadenersatz erst dann gegeben sei, wenn es sich um eine bewusste, gewollte und sittenwidrige Täuschung handele. Hinzu kam die Interpretation, wonach das Europarecht auf allgemeine Schutzwirkung für Klima, Umwelt und Gesundheit ausgerichtet sei und keine individuellen Ansprüche auslöse. Alle drei Hindernisse räumte der EuGH am Dienstag beiseite.
So gingen die Richter auf den Wortlaut der Verordnung ein, wonach Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig sind. Sie könnten ausnahmsweise erlaubt sein, wenn sie den Motor vor Beschädigung oder Unfall schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeuges gewährleisten. Darunter falle jedenfalls nicht jede Funktion, die den Motor vor Verschleiß schützen soll. Insofern unterstützten sie auch die Überlegung des Landgerichtes Ravensburg, wonach Temperaturen über Null durchaus zu den Bedingungen eines normalen Fahrzeugbetriebes gehörten. Die Ausnahme dürfe nicht zur Regel werden. Das konkret festzustellen, sei aber Sache des jeweiligen Gerichtes.
Sodann arbeitete der EuGH auch heraus, dass es Sinn des vorgeschriebenen Schriftstückes mit Angaben zu Emissionen und Verbrauch sei, den Verbraucher zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung mit genauen Informationen über die Umweltbelastung des Fahrzeuges auszustatten. Auch die Pflicht der Hersteller, dem individuellen Käufer eine Bescheinigung auszuhändigen, aus der die Übereinstimmung mit EU-Recht hervorgeht, diene dazu, dass der Käufer sich sicher sein könne, das Fahrzeug anmelden, verkaufen und in Betrieb nehmen zu können - und zwar überall im EU-Binnenmarkt. Habe das Fahrzeug jedoch eine unzulässige Abschaltvorrichtung, könne dies beim Käufer zu einem Schaden führen. Somit habe er gegen den Hersteller auch ausdrücklich einen Anspruch darauf, dass eine solche Technik eben nicht eingebaut sei.
Sanktionen bei Verstößen seien von den Mitgliedstaaten vorzunehmen, und zwar müssten diese „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Dem folgend, hätten die einzelnen EU-Länder nun auch die Modalitäten dafür festzulegen, wie Autokäufer Ersatz bekommen können. Der müsse in einem „angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden“ stehen.
Beim Bundesgerichtshof hat sich ein Berg mit einer vierstelligen Zahl von Klagen zum Dieselskandal gebildet. Über sie war mit Blick auf die bevorstehende Luxemburger Entscheidung noch nicht entschieden worden. Anfang Mai will der BGH nun verhandeln mit dem Ziel, im Licht der neuen EuGH-Grundsätze einheitliche Leitgedanken für den Umgang mit Ansprüchen auch in unteren Instanzen zu entwickeln.
Für Mercedes ist es weiterhin „streitig“, ob die im Ravensburger Fall eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich unzulässig ist. Der Konzern betonte zugleich, dass Fahrzeuge, die im Rahmen eines Rückrufs ein entsprechendes Software-Update erhalten hätten, „dauerhaft weiter uneingeschränkt genutzt“ werden könnten. Wie die EuGH-Entscheidung nun konkret in Deutschland umgesetzt werde, bleibe abzuwarten.