Gesucht: Ein neuer Pakt EU weit von verlässlicher Stabilität entfernt

Meinung · Das Rad neu zu erfinden, dürfte einfacher sein, als bis zum Jahresende einen neuen Stabilitätsmechanismus hinzubekommen, der die EU-Staaten aus der Schuldenfalle holt. An diesem Freitag versuchen die Finanzminister, den Reformprozess zu starten. Ein Weg der Widerstände und Widersprüche.

Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner am vergangenen Wochenende beim Parteitag in Berlin.

Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner am vergangenen Wochenende beim Parteitag in Berlin.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Knapp 1500 Kilometer liegen zwischen dem niederländischen Städtchen Maastricht und der schwedischen Metropole Stockholm. Der eine Ort gab den Kriterien für ein finanziell stabiles Europa seinen Namen, in dem anderen treffen sich an diesem Freitag die EU-Finanzminister, um über die Reform genau dieser Regeln zu reden. Doch die Positionen sind in Stockholm mehr als nur anderthalb Flugstunden von einem verlässlichen Stabilitätspakt entfernt. Deutschland ist gut beraten, die Details genau ins Auge zu fassen.

Schon vor dem Treffen hat Finanzminister Christian Lindner seiner Unzufriedenheit mit dem Vorschlag der Kommission zu neuen Stabilitätsregeln freien Lauf gelassen. Dabei war darin eine Lindner-Idee eingearbeitet: Wer mehr als drei Prozent der gesamten Wirtschaftskraft an neuen Schulden macht, soll jedes Jahr 0,5 Prozentpunkte abschmelzen müssen, bis die magische Drei als Maastricht-Kriterium wieder erreicht ist. Auch wenn Lindner mehr wollte, konnte er sich wiederfinden. Dass er stattdessen die Kritik schon vor Beginn der Beratungen auskübelt, zeugt vom Frust der Finanzverantwortlichen. Über die Herausforderungen. Über den Konflikt der konträren Konzepte. Und übereinander.

Noch stecken zu viele Politiker in den Ausgabe-Euphorien, die von den sagenhaften Möglichkeiten des letzten Jahrzehntes getriggert worden waren: Kräftig wachsende Wirtschaften spülten unerwartete Milliardensummen in die Steuerkassen. Zugleich verleiteten niedrigste Zinsen dazu, sich kräftigst am Kapitalmarkt zu bedienen. Investieren, sanieren, digitalisieren, wer will noch mal, wer hat noch nicht – kost‘ ja nix. Allerdings verleitete das billige und massenhafte Geld auch dazu, es rauszupumpen, ohne die Strukturen zu modernisieren. Sichtbar wird das nun zum Beispiel bei der Bundeswehr, die es auch nach über einem Jahr noch nicht geschafft hat, das Zeitenwende-Sondervermögen in neue Waffen und Fähigkeiten zu verwandeln.

Auch der Stabilitätspakt der EU funktioniert nicht. In guten Zeiten hat er die Verschuldung nicht stoppen können, in schlechten Zeiten wurde er ausgesetzt. Nun soll er zum Jahreswechsel in neuer Form Wirkung entfalten. Das ist einerseits so nötig wie selten zuvor, wie das deutsche Beispiel zeigt: Wenn der Schuldendienst im Bundeshaushalt von vier auf 40 Milliarden hochschnellt, werden die Spielräume abgeschnürt ausgerechnet in Zeiten, in denen es gegen Energie- und Klimakrise um mehr Mittel gehen müsste. Andererseits ist die Reform des Stabilitätspaktes so umstritten wie selten zuvor. Den einen gehen die Vorschläge der Kommission zu weit, den anderen nicht weit genug.

Nicht übersehen werden dürfen dabei Sonderbedingungen wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Es achtet bei allen Schuldenbelangen auf einheitliche, nachhaltige und transparente Vorgaben mit legislativ klarer Verantwortlichkeit. Wenn die Kommission nun damit liebäugelt, für alle verbindliche Abbauschritte durch individuell mit ihr ausgehandelte Spar-Deals zu ersetzen, könnten diese auch an der deutschen Verfassung scheitern.

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