EU-Türkei-Abkommen Griechenland fehlt es an allem

Athen · An diesem Sonntag trat der Deal zwische EU und der Türkei zur Rücknahme von Flüchtlingen in Kraft. Ausgerechnet Griechenland soll die größte Last bei der Umsetzung tragen. Und wird von der Realität brutal eingeholt.

 Auch am Sonntag setzten Hunderte in Schlauchbooten nach Griechenland über.

Auch am Sonntag setzten Hunderte in Schlauchbooten nach Griechenland über.

Foto: ap

Schon Tag eins des Flüchtlingspakts begann mit zwei Tragödien: Vor der winzigen griechischen Insel Ro im Mittelmeer ertranken am Sonntag zwei kleine Mädchen, die aus einem Boot gefallen waren, auf Lesbos starben zwei Syrer an einer Herzattacke.

Der zwischen den Staats- und Regierungschefs der EU und der Türkei ausgehandelte Deal zur Rücknahme von Flüchtlingen trat am Sonntag in Kraft und betrifft Griechenland direkt: Wer das Land auf illegalen Wegen von der Türkei aus erreicht, soll direkt wieder zurückgeschickt werden. Dafür will die EU für jeden abgeschobenen Syrer einen syrischen Flüchtling legal aufnehmen, der schon in der Türkei lebt. So sollen Schlepper bekämpft und Schutzsuchende von der gefährlichen Bootsfahrt abgehalten werden.

Torschlusspanik an der Grenze

Griechenland kommt nun die Aufgabe zu, alle ankommenden Flüchtlinge zu registrieren, ihre Rückkehr zu organisieren - und dabei wie von der Regierung und der EU versprochen das Asylrecht einzuhalten. Kommissionschef Jean-Claude Juncker bemühte keinen geringeren als den griechischen Helden Herkules, um diese Herausforderung für Athen zu umschreiben.

Rund 1500 Menschen wagten kurz vor dem Inkrafttreten des Deals binnen 24 Stunden noch rasch die Überfahrt nach Griechenland. Das waren drei Mal so viele wie in den Tagen zuvor. Etliche Schutzsuchende erreichten die Inseln auch noch nach der Deadline am Sonntag - trotz Warnungen vor der gefährlichen Flucht.

"In der Türkei haben sie uns gesagt, dass wir nicht nach Griechenland gehen sollen und dass wir dort festgenommen werden könnten", erzählt Gatan aus Syrien, der mit seiner Frau und den beiden Kindern Lesbos erreicht hat. "In der Türkei konnten wir nicht bleiben. Wir wollen nach Deutschland oder Frankreich." Der 23-jährige Syrer Ali Mohammed berichtet, dass die türkische Küstenwache seine Gruppe mit Schlägen habe stoppen wollen.

Nun kämpft das ohnehin so ausgezehrte Griechenland um alles: Experten, Polizisten, Zeit. Dem Land fehlt es zur Bewältigung des anhaltenden Ansturms vor allem an Personal.

Aber auch Verständnis. Insbesondere dort, wo die Flüchtlingskrise schon zum Alltag gehört. Spyros Galinos, der Bürgermeister von Lesbos, wo tagtäglich hunderte Flüchtlinge stranden, ist einigermaßen fassungslos. "Da suchen sie ein Jahr lang nach einer Lösung, und plötzlich heißt es, so, wir haben uns geeinigt, Ihr setzt das jetzt ab Sonntag um. Wie, ab Sonntag? Meinen die das ernst?!"

What's in my bag - Fotoprojekt des IRC
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Foto: Tyler Jump/ International Rescue Committee

Regierungschef Alexis Tsipras will trotzdem "keine Abstriche" bei der Einhaltung humanitärer Standards im Umgang mit den Flüchtlingen machen. Seinen Angaben zufolge werden in Griechenland 2300 Experten aus anderen EU-Staaten erwartet, die dem wirtschaftlich und finanziell geschundenen Land helfen sollen - "400 Asylexperten, 400 Übersetzer und 1500 Sicherheitsspezialisten".

Doch mit der Entsendung der Experten ist es noch nicht getan. Der ausgehandelte Plan lasse sich nicht binnen eines Tages umsetzen, sagte Griechenlands Koordinator für Einwanderungspolitik, Giorgos Kyritsis. "De facto braucht man Strukturen, das Personal muss vorbereitet sein und das dauert ein bisschen länger als 24 Stunden."

Insgesamt werden für den ambitionierten Deal, der mit enormen Zugeständnissen an die Türkei verbunden ist, rund 4000 Grenzbeamte und andere Experten benötigt. In einem Zeitraum von sechs Monaten dürften dabei Kosten in Höhe von 300 Millionen Euro auf die Europäische Union zukommen.

Viele Väter sind schon da

Derzeit harren in Griechenland etwa 47.500 Flüchtlinge aus, allein 10.500 davon in Idomeni an der verriegelten mazedonischen Grenze. In dem notdürftig eingerichteten Massenlager grübeln die Menschen nun, wie sie weiter vorgehen sollen - und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Der 30-jährige Mohammed aus Damaskus ist bereit, in einen Bus nach Athen zu steigen, um sich dort registrieren zu lassen. Jasmin aus dem umkämpften syrischen Aleppo will dagegen in Idomeni bleiben.

"Sie können uns nicht verbieten, unseren Männern zu folgen", sagt Jasmin umringt von ihren zwei Kindern und ihren zwei Schwestern. "Sie haben es im Sommer nach Deutschland geschafft."

(AFP)
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