Luxemburger Diesel-Entscheidung EU-Recht zum Miterleben
Meinung · 2020 landeten Ansprüche im Dieselskandal vor einem deutschen Gericht, 2022 verhandelte der Europäische Gerichtshof. Nun fiel seine Entscheidung, mit der er EU-Recht einmal mehr zum Bürgerrecht machte.
Bundesregierung und Mercedes dürften es geahnt haben, was ihnen der Europäische Gerichtshof in Sachen Diesel-Skandal an den Hals hängt. Kaum hatte der Generalanwalt vom „immateriellen Schaden“ eines Käufers gesprochen, dessen Auto die Schadstoffgrenzwerte nicht einhalte, da verlangten sie die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens, um gegen diese Wertung vorzugehen. Der EuGH ließ sich darauf nicht ein. Ein solch ungewöhnliches Vorgehen sei nur möglich, wenn das Gericht sich „unzureichend unterrichtet“ fühle. Das taten die Richter jedoch nicht – und erbrachten nun den Beweis: Sie senkten die Schwelle für Schadenersatz bei Autos mit Abschaltvorrichtungen.
Damit traten sie erneut den Beweis an, dass das angeblich so ferne, abstrakte und sperrige EU-Recht jeden einzelnen EU-Bürger stark machen kann. Das gelang ihnen zudem in einem Verfahren, in dem nicht mal ein Autobesitzer vor dem EuGH geklagt hatte. Ein deutsches Landgericht hatte lediglich Zweifel, wie es mit dem EU-Recht umgehen sollte. Schon das war ein Zeichen bemerkenswerter richterlicher Unabhängigkeit, nicht einfach nur auf obere Instanzen zu schielen, wonach die EU-Paragrafen auf Klima, Umwelt und Gesundheit, nicht aber auf individuelle Ansprüche abzielen.
Tun sie doch, entschieden die Richter in Luxemburg. Und sie nahmen dabei gleich auf ein weiteres EU-Konstrukt Bezug, das nun ebenfalls wieder deutlich mehr mit jedem Einzelnen zu tun hat als vermutet: den Binnenmarkt. Jeder Autobesitzer habe dadurch das Recht, sein Fahrzeug zu EU-einheitlichen Bedingungen EU-weit zu kaufen, zu verkaufen und zuzulassen. Und wenn dann gegen europäisches Recht verstoßende Technik den Wert mindert, müsse jeder Mitgliedstaat regeln, wie in dem Fall Schadenersatz gewährt wird. Das ist EU-Recht zum Miterleben.