Eskalation um Getreide und Waffen Der Polen-Ukraine-Streit als EU-Signal
Meinung · Drei Wochen vor den Wahlen in Polen liegt auf der Hand, dass das polnische Verbot für ukrainisches Getreide und die Ankündigung Warschaus, keine weiteren Waffen mehr zu liefern, mit der Nervosität der rechtspopulistischen Regierungspartei zu tun haben. Aber dahinter steckt mehr.
Fast jede Solidaritätsreise eines Spitzenpolitikers aus dem Westen nach Kiew führt über Warschau. Der Nachtzug durch die Ukraine startet für sie in Polen. Deshalb ist es Anlass zur Sorge, wenn ausgerechnet Polen mit der Ukraine in eine Streit-Eskalation eingetreten ist. Zuerst verbietet Polen ukrainisches Getreide, dann verklagt die Ukraine Polen deswegen, nun stoppt Polen weitere Waffen für das unter russischem Bombardement stehende Nachbarland. Das sollte Anlass für intensivste europäische Krisendiplomatie und nachhaltige internationale Vermittlung sein.
Natürlich hat der ausufernde Streit der Nachbarländer auch mit den bevorstehenden Wahlen in Polen und einer durch eigenes Missmanagement etwa bei der großzügigen Vergabe von EU-Einreisevisa in die Enge getriebene Regierungspartei zu tun. Schließlich wird am 15. Oktober die Macht in Polen neu verteilt. Man darf also davon ausgehen, dass es beiden Seiten danach schon irgendwie gelingen wird, sich beim Getreidestreit zu verständigen, so wie dies binnen weniger Tage auch zwischen der Ukraine und der Slowakei geklappt hat.
Doch das polnisch-ukrainische Zerwürfnis gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem der Westen in der EU und in der Uno seine Einigkeit und seine Unterstützung der Ukraine zu demonstrieren versucht, wirft ein bezeichnendes Licht auf die mögliche Zukunft der EU. Gerade rechtspopulistische Regierungen, wie in Polen und Ungarn, tun sich schwer damit, Auseinandersetzungen in vernünftigem Rahmen zu halten. Das sollte auch EVP-Chef Manfred Weber genauer analysieren bei seinem Versuch, Teile des rechten Randes an die EVP binden zu wollen. Seine drei Bedingungen Pro-Demokratie, Pro-Europa und Pro-Ukraine kommen da schon mal schnell unter die Räder.
Die Vorgänge erlauben auch eine Aussicht auf die Stimmung, die in Brüssel und Straßburg herrschen wird, wenn die Rechtspopulisten in der Krise der Migrationspolitik aus den nächstjährigen Wahlen zum Europa-Parlament deutlich gestärkt hervorgehen.
Die Eskalation vermittelt jedoch noch mehr ein Empfinden dafür, wie weit der Weg für die Ukraine in eine EU sein wird, wenn alle 27 anderen Staaten dem ausdrücklich zustimmen müssen. Ausgerechnet die Polen wollen nun keine Rücksicht mehr nehmen auf das Schicksal der täglich von russischen Angriffen getroffenen Nachbarn. Ausgerechnet sie, die zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine zu den ersten und umfassendsten Waffenlieferanten zählten und Staaten wie Deutschland damals wegen deren Zögerlichkeit kräftig kritisierten.
Wenn ihnen die eigene Landwirtschaft jetzt schon wichtiger ist, wie mag es dann bei der Aufnahme der Ukraine sein, die die seit 60 Jahren gewachsene Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU mit ihren derzeitigen Förderprinzipien nach Fläche kollabieren lässt? Ein Land, das doppelt so viel Fläche bewirtschaftet wie Deutschland und einen ungeheuren Nachholbedarf bei umweltschonenderer Agrartechnik mit in die EU brächte, dürfte bei den derzeitigen EU-Ländern mit Agrarinteressen mehr Sorge als Solidarität auslösen. Der polnisch-ukrainische Streit ist somit ein Vorbote.