Gebäude-Effizienzrichtlinie Die Angst der deutschen Hausbesitzer vor „Zwangssanierungen“

Straßburg · Kommen nun über 250 Milliarden Euro Kosten auf Hausbesitzer allein in Deutschland zu? Eine Mehrheit des EU-Parlamentes machte den Weg frei für Verhandlungen über eine neue Gebäude-Effizienzrichtlinie. Die CDU warnt vor „Überforderungen“.

 Wärmebilder zeigen den Sanierungsbedarf von Gebäuden.

Wärmebilder zeigen den Sanierungsbedarf von Gebäuden.

Foto: dpa-tmn/Tobias Hase

Ungewöhnlich lange 19 Minuten brauchte das Europäische Parlament, um am Dienstag im Zehn-Sekunden-Takt über eine Fülle von Änderungsanträgen abzustimmen, bevor es zum eigentlichen Punkt kam. Das war das erste Anzeichen für eine deutlich gespaltene Einstellung zum heiß umstrittenen Projekt, die Energieeffizienz vor allem älterer und schlecht isolierter Wohnungen in Europa nach oben zu zwingen.

Das zweite Anzeichen kam im Votum selbst zum Ausdruck: 343 Ja-Stimmen gegen 216 Nein-Stimmen bei 78 Enthaltungen. Das spricht nicht dafür, dass das Parlament mit einer übereinstimmend getragenen Position in die Verhandlungen mit Kommission und Rat geht. Selbst in der SPD, die in Straßburg leidenschaftlich für die Richtlinie stritt, gibt es einflussreichen Protest: SPD-Bauministerin Klara Geywitz kündigte bereits Widerstand an. Damit dürfte Deutschland bei den Verhandlungen für die neuen EU-Vorgaben mit auf der Bremse stehen.

Die Richtlinie fokussiert sich insbesondere auf jene 15 Prozent der Gebäude, die besonders schlechte Energie-Effizienzwerte aufweisen. Sie sollen so umfangreich saniert werden, dass sie bis 2030 eine Klasse und bis 2033 zwei Klassen besser eingestuft sind. Diese energetischen Verbesserungen seien vor allem auf dem Land teurer, als das ganze Haus wert sei, gab Geywitz im Vorfeld der Parlamentsentscheidung zu bedenken. In der Debatte räumte auch die Grünen-Klimaexpertin Jutta Paulus ein, dass der Vorschlag der EU nach einschlägigen Schätzungen allein für Deutschland einen Investitionsbedarf von 254 Milliarden Euro auslösen werde. Allerdings erinnerte die Europa-Abgeordnete daran, dass allein die Gaspreisbremse 200 Milliarden Euro gekostet habe – ohne auch nur einen Cent Wertsteigerung für Häuser zu bewirken.

Weite Teile der Debatte drehten sich in Straßburg denn auch um die Finanzierbarkeit. EU-Energie-Kommissarin Kadri Simson argumentierte, dass vor allem die ärmsten Bürger in den ältesten Häusern davon profitierten, denn sie hätten derzeit die höchsten Energie-Rechnungen zu tragen. 37 Prozent des Klimagasausstoßes in der EU entfielen auf den Gebäudesektor, 40 Prozent des gesamten CO2, deshalb müsse hier zügig eingegriffen werden, sonst seien die EU-Klimaziele nicht zu schaffen. 150 Milliarden würden aus dem Klimasozialfonds für die Modernisierungen der Wohnungen bereitgestellt, weitere Mittel kämen durch nationale Programme und zinsgünstige Kredite der Europäischen Investitionsbank.

„Die billigste Energie ist die, die wir nicht verbrauchen“, unterstrich Paulus. Das gelte besonders für Zeiten, in denen sich große Teile der Bevölkerung zwischen einer warmen Wohnung und einer warmen Mahlzeit entscheiden müssten. Scharfe Vorwürfe („fake news“) machte der Grünen-Abgeordnete Malte Galée den Gegnern der Richtlinie, die er als „rechte Macht“ charakterisierte, die „keinen Bock“ darauf habe, seiner Generation eine Perspektive zu geben, auf diesem Planeten noch gut leben zu können.

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Foto: picture alliance / Rudolf Brands/Rudolf Brandstätter

Gespalten präsentierten sich die europäischen Konservativen und Christdemokraten der EVP. Radan Kanev aus Bulgarien sprach von einem „seriösen Kompromiss“, auch Pernille Weiss aus Dänemark nannte den Vorschlag „sinnvoll“. Und Sean Kelly aus Irland verwies darauf, dass je einer Milliarde Investition in die bessere Energieeffizienz von Gebäuden 18.000 sichere Arbeitsplätze entstünden. Bei der Umsetzung bräuchten die Mitgliedstaaten allerdings größere Flexibilität – gleichwohl plädierte der Christdemokrat für die Annahme. Auch die Linken („das wird das Leben für viele Europäer verbessern“) und die Liberalen („wir haben keine andere Wahl“) stellten sich hinter den Entwurf.

Viele rechtspopulistischen Abgeordnete und auch die deutschen Unionsabgeordneten stemmten sich jedoch vehement dagegen – und lösten angesichts von über 200 Nein-Stimmen auch in anderen Fraktionen Bedenken aus. Natürlich müsse der Gebäudebestand auch seinen Beitrag zu den Klimazielen beitragen, sagte die Ko-Chefin der deutschen Unionspolitiker, Angelika Niebler. Allerdings beschreite die Richtlinie mit „Zwangsrenovierungen und Verboten“ den falschen Weg. „Ich glaube, dass wir den Klimaschutz nicht gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger machen dürfen“, gab Niebler zu bedenken. Die Menschen müssten nicht davon überzeugt werden, dass es Sinn mache, in bessere Wärmedämmung zu investieren, meinte Niebler und verwies auf die stark gestiegenen Energiepreise. „Das regelt sich von alleine“, sagte sie voraus.

Allerdings hatte dem Kommissarin Simson bereits eingangs der Debatte widersprochen: „Bei den Renovierungen geht es zu langsam voran.“ Gleichwohl wirkten Unionsabgeordnete nach der Abstimmung geradezu fassungslos. Vor einer „Immobilienkrise“ warnte Parlamentsgeschäftsführer Markus Pieper. Die Wohnungswirtschaft sei bereits Teil des europäischen Emissionshandels. Zusätzlich mit den verbindlichen Energie-Einsparvorgaben würden die Pariser Klimaziele bereits erreicht. Dem jetzt noch Zwangssanierungen hinzuzufügen, werde „Hauseigentümer überfordern“. Der Unions-Sozialpolitiker Dennis Radtke nannte die Gebäuderichtlinie „Unsinn“ und mahnte: „Wir können die Kosten im Kampf gegen den Klimawandel nicht auf Omas Häuschen abwälzen.“

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