Rechnungshof prüft Reisefreiheit EU muss sich auf die nächste Pandemie besser vorbereiten
Brüssel/Luxemburg · Die Bewegungsfreiheit gehört zu den wichtigsten Grundrechten aller EU-Bürger. Doch Corona führte zu einer Fülle von Einschränkungen. Der Europäische Rechnungshof hat nun geprüft, ob die EU Reiseerleichterungen hinbekommen hat. Der Befund ist ernüchternd. Funktioniert hat nur eines von vier Projekten.
Ein EU-Projekt im Kampf gegen die schwierigsten Auswirkungen der Pandemie hat sich während Corona zum absoluten Renner entwickelt und nach Einschätzung des Europäischen Rechnungshofes gezeigt, wie gut die Europäische Union auch auf Großkrisenlagen reagieren kann. Das einheitliche digitale Covid-Zertifikat kam nicht nur in allen 27 Mitgliedsstaaten zum Einsatz, auch 45 weitere Länder und Gebiete außerhalb der EU nutzten es. So kam angesichts von 450 Millionen EU-Bürgern eine beeindruckende Zahl zustande: Bis Ende März letzten Jahres sind nach den Recherchen der Prüfer über 1,7 Milliarden Zertifikate ausgestellt worden.
Das Covid-Zertifikat der EU wurde so zu einem funktionierenden Eintrittsticket für ansonsten geschlossene Geschäfte, Restaurants und viele weitere Orte und Reisen. Aber es ist nur ein Lichtblick in der Prüfbilanz des Luxemburger EU-Rechnungshofes. Das meiste andere besteht aus Schatten. Selbst beim Zertifikat kommt die rundum positive Bewertung nur zustande, weil die Prüfer die 15 Monate vom Beginn der Pandemie bis zur Einsatzreife als „zügig“ definieren. Damit legten sie die übliche EU-Routine zugrunde, bei der gewöhnlich 18 Monate vergehen, bis ein Rechtstext die erste legislative Hürde genommen hat. Beim Zertifikat bekamen die EU-Institutionen das binnen drei Monaten hin. Zudem musste auch erst einmal genügend Impfstoff da sein, damit flächendeckend einheitliche Impfnachweise Sinn machten.
Drei weitere Vorstöße der EU, mit denen die Freizügigkeit der EU-Bürger auch in der Pandemie erleichtert werden sollten, wurden indes zu europäischen Rohrkrepierern - vor allem, weil die Mitgliedsstaaten lieber national dachten und handelten. Das digitale Reiseformular nutzten nur vier Länder, zu 90 Prozent sogar allein Italien. Auf der Austauschplattform für digitale Reiseformulare landeten lediglich 256 Formulare, bis auf eines alle aus Spanien. Und auch die Kontaktnachverfolgungs-App der EU wurde zu 83 Prozent nur von Deutschen genutzt. Und auch dort nur in geringem Umfang.
Lob halten die Prüfer für die Mittelbeschaffung und das Erstellen der Werkzeuge bereit. Die notwendigen 71 Millionen Euro hätten schnell aus unterschiedlichen Töpfen zur Verfügung gestanden, die Kommission sei bei der Programmentwicklung „pragmatisch“ vorgegangen. Allerdings handelt es sich hier angesichts der üblichen Milliarden-Etats auch um sehr überschaubare finanzielle Herausforderungen.
Obwohl die Wissenschaft seit Jahren vor den einschneidenden Folgen von Pandemien gewarnt hatte, waren weder die Mitgliedsstaaten noch die EU angemessen vorbereitet. Es wurde ein Improvisieren und Probieren. An anderer Stelle haben viele Verantwortlichen längst reumütig eingeräumt, dass die Grenzschließungen der falsche Weg zur Corona-Bekämpfung gewesen seien. Umso mehr überrascht die Erkenntnis der Prüfer, dass selbst bei dem am besten funktionierenden Mittel zur Erleichterung des Reisens auch 2023 noch keine Vorkehrungen getroffen worden sind, um das Corona-Zertifikat länger nutzen oder bei Bedarf schnell wieder einsetzen zu können. Die Rechtsgrundlage für den Digitalnachweis läuft sogar in wenigen Monaten aus.
Bei ihren Recherchen stießen die Prüfer auf viele rechtliche und Datenschutz-Vorbehalte gegenüber den EU-Angeboten. Und so empfiehlt der Rechnungshof dringend, dass die Kommission genau analysieren sollte, warum die Mitgliedsstaaten die drei übrigen EU-Programme nicht oder kaum genutzt haben und was mit Blick auf künftige Krisen jetzt schon verbessert werden kann, damit es dann schneller und besser läuft.