Entwurf aus Brüssel EU-Kommission will Gas und Atomenergie als klimafreundlich einstufen

Brüssel · Die EU-Kommission will einem Entwurf zufolge Energiegewinnung aus Atomkraft- und neueren Erdgasanlagen als klimafreundlich einstufen und entsprechend fördern. Die entsprechenden Regelungen sollen bis 2030 beziehungsweise 2045 greifen.

 Die EU-Kommission will Atomenergie als klimafreundlich einstufen.

Die EU-Kommission will Atomenergie als klimafreundlich einstufen.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Laut einem Verordnungsentwurf der Brüsseler Behörde, welcher der Nachrichtenagentur AFP am Samstag vorlag, sollen bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Atomkraftwerke unter die sogenannte Taxonomieverordnung fallen und der Bau entsprechend gefördert werden können. Für neue Gasinfrastruktur soll dies demnach unter bestimmten Voraussetzungen bis 2030 gelten.

Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und kommt einer Einstufung als förderwürdig und einer Empfehlung an Investoren gleich. Den entsprechenden Rechtsakt hatte die EU-Kommission bereits im April vorgestellt. Die heikle Frage der Bewertung von Gas- und Atomenergie ließ die Behörde damals jedoch aus. Es sollten noch weitere Experten-Berichte und Bewertungen abgewartet werden.

"Es muss anerkannt werden, dass der fossile Gas- und der Kernenergiesektor zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der Union beitragen können", heißt es nun in dem Brüsseler Entwurfspapier. Die Kommission hat den Vorschlag noch nicht offiziell vorgestellt. Der Entwurf wurde nach Angaben aus Brüsseler und Berliner Kreisen am Silvesterabend kurz vor Mitternacht für einen Konsultationsprozess an die Regierungen der 27 Mitgliedstaaten verschickt.

Dem Dokument zufolge soll der "Bau und sichere Betrieb neuer Kernkraftwerke zur Strom- oder Wärmeerzeugung, auch zur Wasserstofferzeugung, unter Einsatz der besten verfügbaren Technologien" als taxononmiekonform, also nachhaltig und klimafreundlich gelten. Weitere Vorgaben sind etwa für den langfristigen Umgang mit radioaktiven Abfällen vorgesehen.

Vor allem Frankreich drängt mit Nachdruck auf eine Einstufung der Atomkraft als nachhaltig. Auch Polen und weitere östliche Länder drängen die EU-Kommission, Atomstrom als klimafreundlich anzuerkennen. Entschieden dagegen war mit Deutschland, Österreich und Luxemburg bislang nur eine Minderheit der EU-Staaten.

Für die Förderwürdigkeit neuer Gasanlagen sind dem Entwurf zufolge strengere Regeln vorgesehen. Etwa müssen die fraglichen neuen Anlagen stets eine alte Anlage, die fossile Brennstoffe nutzt, ersetzen. Auch soll nachgewiesen werden müssen, dass die geplante Energieproduktion nicht auch mit einer erneuerbaren Energiequelle geleistet werden könnte.

Die vorherige Bundesregierung hatte mit Nachdruck auf der Bedeutung von Erdgas als Übergangstechnologie hin zur Klimaneutralität bestanden. Die SPD von Neu-Kanzler Olaf Scholz hält daran auch weiter fest. Aus den Reihen des grünen Koalitionspartners kommt jedoch Kritik.

Bundesklimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) wendet sich gegen das Vorhaben der EU-Kommission. "Ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, ist bei dieser Hochrisikotechnologie falsch", erklärte er am Samstag. "Es verstellt den Blick auf die langfristigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt; der hochradioaktive Atommüll wird uns über Jahrhunderte belasten. Und es mangelt auch an harten Sicherheitskriterien", fügte Habeck hinzu.

"Die Vorschläge der EU-Kommission verwässern das gute Label für Nachhaltigkeit", urteilte Habeck. "Es hätte aus unserer Sicht diese Ergänzung der Taxonomie-Regeln nicht gebraucht. Eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission sehen wir nicht." Der Entwurf werde nun innerhalb der Bundesregierung besprochen und bewertet.

Die Pläne der EU-Kommission für den Umgang mit Erdgas nannte Habeck "fraglich". Immerhin mache die Kommission in diesem Punkt aber "sehr klar, dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss", erklärte der auch für Wirtschaft zuständige Minister.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) lehnt das Vorhaben der EU-Kommission ebenfalls ab. "Ich halte es für absolut falsch, dass die Europäische Kommission beabsichtigt, Atomkraft in die EU-Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten aufzunehmen", sagte Lemke am Samstag den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Eine Energieform, die zu "verheerenden Umweltkatastrophen" führen könne und große Mengen an gefährlichen hochradioaktiven Abfällen hinterlasse, "kann nicht nachhaltig sein".

Der nun begonnene Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten soll rund zwei Wochen dauern. Mitte Januar will die Kommission dann den finalen Vorschlag vorstellen, der noch vom nun bekannt gewordenen Entwurf abweichen kann. Anschließend haben der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament jeweils ein Veto-Recht.

Im EU-Parlament regt sich bereits Widerstand: "Der Vorschlag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist ein Schritt zurück", kritisiert der Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen. "Atom und fossiles Gas sind nicht zukunftsfähig."

(felt/th/AFP)
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