Aktuell nur in 21 Mitgliedsstaaten EU-Kommission plant Mindestlohn für alle Europäer

Brüssel · Im Wahlkampf hatten Sozialdemokraten für eine europäische Lohnuntergrenze geworben. Von der Leyen hat sich jetzt die Forderung zu eigen gemacht.

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, spricht während einer Pressekonferenz in Straßburg.

Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Als die Deutsche Ursula von der Leyen (CDU) im Sommer Kandidatin des Europäischen Rats für den Chefposten der EU-Kommission wurde, musste sie um die Stimmen der Sozialdemokraten buhlen. Es kam bei ihrer Wahl buchstäblich auf jede Stimme an. Die Christdemokratin übernahm in dieser Werbephase eine Position, die die Sozialdemokraten im Europa-Wahlkampf vehement vertreten hatten. Sie versprach, sich für Mindestlöhne in der gesamten Europäischen Union (EU) stark zu machen. Wenige Wochen nachdem die Von-der-Leyen-Kommission Anfang Dezember ihre Arbeit aufgenommen hat, folgt nun ein erster Schritt in diese Richtung. Die Kommission fragt bei Arbeitgebern und Gewerkschaften an, was sie von der Idee von Mindestlöhnen in allen EU-Ländern halten.

Dieser so genannte Konsultationsprozess ist jedem Gesetzgebungsverfahren in Brüssel vorgeschaltet. Nach der Sitzung der Kommissare, bei der es erstmals um das Thema ging, hieß es: Nichts sei entschieden, die Kommission sei im Zuhörmodus und wolle zunächst einmal herausfinden, ob der Wunsch nach EU-weiten Mindestlöhnen überhaupt gegeben sei. Frühestens im Sommer sei mit einem konkreten Gesetzgebungsvorschlag aus Brüssel zu rechnen.

Die Kommission in Brüssel weiß: Mindestlöhne sind ein heißes Eisen bei vielen Mitgliedsstaaten. Das liegt zum einen daran, dass es derzeit nur in 21 von demnächst 27 Mitgliedstaaten gesetzliche Mindestlöhne gibt. In Skandinavien etwa werden Mindestlöhne zwischen den Tarifvertragsparteien ausgehandelt. Außerdem: Die EU hat bislang wenig gesetzgeberische Kompetenzen in der Sozialpolitik. Und die Mitgliedstaaten schauen immer dann mit Argusaugen nach Brüssel, wenn die EU neue Zuständigkeiten aus den Mitgliedstaaten nach Europa verlagern will.

Daher baut die Kommission bereits jetzt vor: Selbstverständlich werde auf nationale Besonderheiten Rücksicht genommen. Aber der für Jobs und soziale Rechte zuständige Kommissar, der Luxemburger Nicolas Schmit, stimmte schon einmal auf das Thema ein: „In den nächsten Jahren wird sich das Arbeitsleben von Millionen von Europäern ändern. Wir müssen dafür sorgen, dass auch in Zukunft die Arbeitskraft blüht.“ Es gehe um Qualitätsarbeitsplätze, die fair bezahlt werden.

Von der Leyens Bekenntnis zum Mindestlohn stieß von Anfang an auf Argwohn unter ihren Parteifreunden. Der Wirtschaftsexperte der Unionsabgeordneten im Europa-Parlament, Markus Ferber (CSU), mahnte bereits: „Europäische Gleichmacherei beim Mindestlohn schadet mehr, als sie hilft.“ Anstatt mit der „Harmonisierungskeule“ zu kommen, möge die Kommission doch besser dafür sorgen, dass diejenigen Mitgliedstaaten, die noch keine Untergrenze haben, ein passgenaues nationales Regime bekommen. SPD-Sozialexpertin Gabriele Bischoff begrüßt den Ansatz: „Statt Sonntagsreden für das soziale Europa braucht es endlich konkrete Maßnahmen für angemessene Einkommen.“ Die Sozialdemokraten wollen einen europäischen Mindestlohn, der sich an dem jeweiligen mittleren Einkommen in den Mitgliedsstaaten orientiert. Bischoff peilt als Untergrenze 60 Prozent des Medianlohns an. Das ist das Entgelt, das mindestens 50 Prozent der Arbeitnehmer erreichen.

Falls sich die Brüsseler Kommission diesen Vorschlag zu eigen macht, dürfte es heftigen Protest von Seiten der deutschen Arbeitgeber geben. In der Bundesrepublik beträgt der Mindestlohn seit Jahresanfang 9,35 Euro je Arbeitsstunde. Bei einer Lohnuntergrenze von 60 Prozent des Medianlohnes müssten aber knapp 12 Euro bezahlt werden. Nur in Bulgarien, Frankreich, Slowenien und Portugal liegt der Mindestlohn derzeit in der Nähe der 60-Prozent-Marke.