Wegen Rechtsstaatsverstößen EU-Kommission geht gegen Ungarn vor

Straßburg · Ungarn kassiert jährlich Milliarden aus dem EU-Haushalt. Aber geht das Land auch anständig mit dem Geld um? Die EU-Kommission meint Nein - und macht einen historischen Schritt.

  Europafahnen und Nationalfahnen der EU-Mitgliedsstaaten sind vor dem Europäischen Parlament in Straßburg aufgezogen.

Europafahnen und Nationalfahnen der EU-Mitgliedsstaaten sind vor dem Europäischen Parlament in Straßburg aufgezogen.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Ungarn muss sich wegen möglicher Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien als erstes Land einem Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln stellen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Dienstag im Straßburger Europaparlament an, dass ihre Behörde den ersten Schritt des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus unternehmen werde. Darüber habe die EU-Kommission die ungarischen Behörden am Dienstag informiert.

„Bei Ungarn, wir haben uns sehr klar ausgedrückt, ist das Problem Korruption“, sagte von der Leyen. Man sei derzeit nicht in der Lage, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Im Parlament erntete von der Leyen für ihre Ankündigung Applaus.

Zunächst einmal kann Budapest nun binnen einer Frist von mindestens einem Monat und maximal drei Monaten Stellung zu den Vorwürfen beziehen und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen vorschlagen. Die EU-Kommission berücksichtigt dies dann bei der Entscheidung darüber, ob sie den EU-Staaten tatsächlich vorschlagen wird, Ungarn EU-Mittel zu kürzen. Auch dazu könnte Budapest sich dann noch einmal äußern. Letztlich braucht es dann noch die Zustimmung von mindestens 15 EU-Staaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung.

Der sogenannte EU-Rechtsstaatsmechanismus ist seit Anfang 2021 in Kraft. Er soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben. Entscheidend dabei ist, dass durch die Verstöße ein Missbrauch von EU-Geldern droht.

Polen und Ungarn sehen sich besonders im Fokus des Instruments und haben deshalb dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Dieser wies die Klagen im Februar jedoch ab. Beide Staaten bekommen jährlich Milliarden aus dem Gemeinschaftsbudget.

Mit Blick auf Polen betonte von der Leyen am Dienstag, dass die polnische Justiz nicht ausreichend unabhängig sei. Sie bekräftige ihre bekannten Forderungen an Warschau, wonach die Disziplinarkammer aufgelöst werden müsse, das Disziplinarregime reformiert und unrechtmäßig entlassene Richter wiedereingesetzt werden müssten. Ein entsprechendes Gesetz müsse die Regierung durch das Parlament bringen. „Wir sind nah dran, aber wir sind noch nicht am Ziel“, sagte von der Leyen. Erst wenn all die Bedingungen erfüllt seien, werde die EU-Kommission die milliardenschweren Corona-Hilfen an Polen auszahlen. Auch an Ungarn ist das Geld bislang nicht ausbezahlt worden. Das Zurückhalten der Corona-Hilfen ist neben dem Rechtsstaatsmechanismus ein weiteres Druckmittel der EU-Kommission.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban dürfte sich in seinem Kurs allerdings bestärkt fühlen. Seine rechtsnationale Fidesz-Partei gewann am Sonntag deutlich die Parlamentswahl. Sie kam auf 53 Prozent der Stimmen und sicherte sich damit das vierte Mal in Folge eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Das Europaparlament macht schon seit langem Druck auf die EU-Kommission, den Rechtsstaatsmechanismus auszulösen. Die Behörde betonte jedoch stets, auf das EuGH-Urteil warten zu wollen. Dadurch sei kein Fall verloren gegangen, sagte von der Leyen auch am Dienstag. Das Parlament verklagte die EU-Kommission wegen ihrer Zögerlichkeit sogar vor dem EuGH - das Verfahren läuft noch.

Entsprechend begrüßten Europaabgeordnete von der Leyens Ankündigung am Dienstag. „Es ist absolut richtig, dass Ursula von der Leyen Sanktionen für die massiven Rechtsstaatsverstöße der Orban-Regierung auf den Weg bringt“, sagte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Zugleich bemängelte er jedoch: „Für Ungarns Demokratie könnte es aber schon zu spät sein.“ Die EU-Kommission habe den richtigen Zeitpunkt für ein konsequentes Vorgehen gegen Orban um Jahre verpasst.

Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner sprach von einer „guten Nachricht für die Demokratie in Europa“. „Die späte Aktivierung hat jedoch auch einen faden Beigeschmack.“ Mit der späten Entscheidung habe von der Leyen Ministerpräsident Orban vier weitere Jahre im Amt geschenkt. Dieser könne die „Demolierung der ungarischen Demokratie“ nun fortführen.

(zim/dpa)
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