Ypern EU-Gipfel will Jean-Claude Juncker ernennen

Ypern · Der Luxemburger und frühere Euro-Retter Jean-Claude Juncker (59) soll vom November an die mächtige EU-Kommission führen. Darauf wollen sich die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel gegen den erbitterten Widerstand Großbritanniens verständigen.

 Gedenken in Ypern: Cameron, Hollande, Merkel.

Gedenken in Ypern: Cameron, Hollande, Merkel.

Foto: dpa, h0 bjw hpl

"Ich denke, dass es heute einen breiten Konsens zu Herrn Juncker gibt", sagte der französische Staatspräsident François Hollande zum Auftakt des Spitzentreffens im belgischen Ypern. Dort trafen sich am Donnerstag die 28 Staatenlenker, um an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren zu erinnern.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will London an Bord halten und stellt inhaltliche Zugeständnisse in Aussicht - etwa bei der weiteren Ausrichtung der EU-Politik. Merkel setzt dabei auf ein "hohes Maß an Gemeinsamkeit". Sie sagte: "Ich denke, hier können wir mit Großbritannien sehr gute Kompromisse finden und auch ein Stück auf Großbritannien zugehen." Londons Premier David Cameron hält den konservativen EU-Veteranen Juncker für ungeeignet. Harten Widerstand gibt es auch aus Ungarn.

Merkel macht Zugeständnisse

Um weiteren Ärger um Brüsseler Topposten zu vermeiden, werden die "Chefs" noch vor der Sommerpause wichtige Weichen stellen. Sie wollen nach den Worten des irischen Regierungschefs Enda Kenny am 17. Juli zu einem Sondergipfel zusammentreffen. Dann solle über die Nachfolge der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton entschieden werden, die auch Vizepräsidentin der EU-Kommission ist, ergänzten Diplomaten. Ob dann auch über die Nachfolge von EU-Ratschef Herman Van Rompuy entschieden werde, sei offen. Der Belgier scheidet Ende November aus.

Die 28 Staatenlenker trafen sich am Donnerstag in der westbelgischen Stadt Ypern, um an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren zu erinnern. Sie versammelten sich in dem Museum "In Flanders Fields", wo eine Ausstellung das Kriegsgrauen anschaulich macht. In und um Ypern starben von 1914 bis 1918 etwa eine halbe Million Soldaten. Merkel ging auf dem Marktplatz auf Passanten zu und schüttelte Hände.

Dann gab es eine Gedenkzeremonie am Rande der Altstadt. Beim Abendessen im Rathaus wollte die Gipfelrunde über die künftige Ausrichtung der EU-Politik sprechen. Diese "Agenda für die Union in Zeiten des Wandels" bildet die Grundlage für die neue Kommission.

Der Streit um die Nachfolge des Portugiesen José Manuel Barroso an der Kommissionsspitze spaltete die EU in den vergangenen Wochen. Merkel erinnerte daran, dass für die Nominierung keine Einstimmigkeit beim Gipfel notwendig sei: "Ich halte es für kein Drama, wenn die Abstimmung in diesem Fall nicht einstimmig ist."

"EU braucht ein starkes Vereinigtes Königreich"

Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, sagte: "Die EU braucht ein starkes Vereinigtes Königreich.(...) Ich hoffe, dass Großbritannien den Weg findet zu einer konstruktiven Zusammenarbeit." Der luxemburgische Ex-Premier Juncker war bei den Europawahlen Ende Mai als stärkster Bewerber für den Kommissionsposten hervorgegangen. Seine Partei, die Europäische Volkspartei (EVP), wurde die stärkste politische Kraft.

Für Europa haben nach Überwindung der Wirtschaftskrise Wachstum und neue Arbeitsplätze Vorrang. Das geht aus dem EU-Fahrplan für die nächsten fünf Jahre hervor. Das Gipfel-Papier fordert eine wachstumsfreundliche Haushaltspolitik und unterstreicht die Bedeutung des Euro-Stabilitätspaktes. Jüngst hatten vor allem Frankreich und Italien stärkere Wachstumsimpulse gefordert.

Eine Änderung des Paktes lehnt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ab. "Die Haushaltssanierung muss fortgesetzt werden in einer wachstumsfreundlichen und differenzierten Weise", heißt es im aktuellen Entwurf der Gipfel-Abschlusserklärung. Dies gilt als eine Kompromissformel, um auch südliche Länder mit Budgetproblemen einzubinden.

In der Agenda für die Jahre bis 2019 heißt es zudem, Europa müsse bei der Energieversorgung unabhängiger von russischem Öl und Gas werden. Dies wird ebenfalls ein Thema beim Gipfel sein. Beschlüsse zur Energiesicherheit sollen aber erst beim Spitzentreffen im Oktober fallen.

Am Freitag werden die Staatenlenker die Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine, Georgien und Moldau unterzeichnen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wird mit den "Chefs" über die zugespitzte Lage in seinem Land sprechen.

Beim Gipfel geht es auch um mögliche weitere Sanktionen gegen Russland. Merkel sagte am Rande eines EVP-Treffens in Kortrijk: "Wir werden daher darüber sprechen, inwieweit wir bei den Sanktionen weitergehen müssen oder inwieweit es in den nächsten Stunden doch noch Fortschritte gibt."

Poroschenko verlangte in Straßburg von Russland, mehr zu tun, um die Spannungen in der Ukraine abzubauen: "Ich fordere Russland auf, den Friedensprozess mit Taten und nicht nur mit Worten zu unterstützen."

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort