EU-Gipfel in Brüssel Das haben die EU-Staaten für Russland, Ungarn und Großkonzerne beschlossen

Brüssel · Wochenlang hat Ungarn weitere EU-Hilfen für die Ukraine verhindert. Kurz vor der Lösung des Konflikts überraschte Polen mit einer Blockade. Doch am Ende stand Europa geeint - jedenfalls in der Ukraine-Frage.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kurz vor Beginn der Pressekonferenz zum EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kurz vor Beginn der Pressekonferenz zum EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel.

Foto: dpa/Olivier Matthys

Die Europäische Union kann der Ukraine ab Januar neue Finanzhilfen von bis zu 18 Milliarden Euro zahlen. Die Staats- und Regierungschefs gaben bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstagabend grünes Licht für die Freigabe der Mittel. Auf Botschafterebene einigten sich die EU-Länder zudem auf das nunmehr neunte Sanktionspaket gegen Russland. Eine Einigung für einen Gaspreisdeckel blieb noch aus, sie soll am Montag beim Treffen der Energieminister gelingen. Auch eine gemeinsame Antwort auf das US-Subventionsprogramm ließ noch auf sich warten. In einer Pressekonferenz stellten die Gipfel-Teilnehmer die Ergebnisse vor.

Mit dem Geld für die Ukraine sollen demnach unter anderem Krankenhäuser und Schulen finanziert werden. Es soll in Form stark vergünstigter Kredite in monatlichen Tranchen von jeweils 1,5 Milliarden Euro fließen. Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal bedankte sich auf Twitter für die „unermüdliche“ Unterstützung der EU.

Mindeststeuer für internationale Konzerne

Der formellen Besiegelung der Hilfszahlungen war eine überraschende Blockade durch Polen vorangegangen: Regierungschef Mateusz Morawiecki warf der EU plötzlich „Erpressung“ vor. Er kritisierte, dass die neuen Gelder für Kiew mit anderen Themen wie der Mindeststeuer für internationale Konzerne verknüpft worden waren. Dies sei wie „Äpfel und Bananen“ in einem Korb.

Ziel der Mindeststeuer ist es, die Verlagerung von Unternehmensgewinnen in Steueroasen zu verhindern. Internationale Firmen mit mindestens 750 Millionen Euro Umsatz pro Jahr sollen unabhängig von ihrem Sitz mindestens 15 Prozent Steuern zahlen.

Die Richtlinie zur Umsetzung der internationalen Mindeststeuer für große Unternehmen ist Teil eines Pakets aus vier Beschlüssen, das eigentlich schon am Mittwoch durch sein sollte. In letzter Minute hatte Polen jedoch bei der Mindeststeuer jedoch Prüfbedarf angemeldet.

Einigung auf Sanktionen gegen Russland

Die Wende kam laut Diplomaten mit einer Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an den Gipfel: „Der Kampf für Frieden in der Ukraine und in ganz Europa sollte nicht von Missverständnissen und Kontroversen zwischen einigen EU-Mitgliedstaaten abhängen“, mahnte er. Danach lenkte Polen ein. Die Volte sorgte in Brüssel für Kopfschütteln, denn eigentlich versteht sich Warschau als größter Unterstützer der Ukraine in der EU.

Für neuen Druck auf Moskau soll das neunte Sanktionspaket gegen Russland sorgen. EU-Ratspräsident Charles Michel bestand laut Diplomaten auf eine Einigung noch während des Gipfeltreffens. Polen hatte zuletzt noch eine Verschärfung der Maßnahmen verlangt. Den Botschaftern der 27 Mitgliedsländer gelang am Donnerstagabend die erhoffte Einigung. Das Sanktionen-Paket gegen Russland soll am Freitag von Diplomaten formalisiert werden.

Vorgesehen sind Einreise- und Vermögenssperren für fast 200 weitere Verantwortliche und Organisationen sowie neue Exportbeschränkungen für Güter, die zivil wie militärisch genutzt werden können. Auch Lieferungen von Drohnen-Bestandteilen an Russland und aus dem Iran werden verboten. Zudem soll es Investitionen in die russische Bergbauindustrie ausschließen. Polen und Litauen hatten davor gewarnt, dass die vorgeschlagenen Ausnahmen bei Lebensmitteln russischen Oligarchen im Düngemittelgeschäft zugute kommen könnten.

EU-Zahlungen an Ungarn werden eingefroren

Ebenfalls mit Verzögerung beschlossen die EU-Staaten, für Ungarn vorgesehene Milliardenzahlungen aus dem Gemeinschaftshaushalt einzufrieren. Wie die tschechische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte, wurde das schriftliche Verfahren am Donnerstag mit der notwendigen Mehrheit abgeschlossen. Wegen der Sorge, dass EU-Geld in Ungarn wegen mangelhaften Kampfes gegen Korruption veruntreut wird, sollen 6,3 Milliarden Euro blockiert werden - ein bislang beispielloser Schritt.

Da die Beschlüsse über die Ukraine-Hilfen und die Mindeststeuer einstimmig getroffen werden müssen, konnte Ungarn sie wochenlang blockieren. Diese Blockade wurde EU-Diplomaten zufolge Anfang der Woche gelöst, indem Länder wie Deutschland drohten, eine Genehmigung des ungarischen Plans zur Verwendung von EU-Corona-Hilfen zu blockieren.

Dies hätte zur Folge gehabt, dass am Jahresende 70 Prozent der zur Verfügung stehenden EU-Mittel von 5,8 Milliarden Euro unwiderruflich verfallen. Die Bestätigung des Corona-Plans ist der vier Teil des Pakets, das am Donnerstag beschlossen wurde. Auszahlungen sollen allerdings erst dann erfolgen können, wenn insgesamt 27 Voraussetzungen etwa zum Kampf gegen Korruption erfüllt sind.

Gaspreisdeckel-Entscheidung auf Montag verschoben

Keinen Durchbruch gab es bei dem Gipfel im monatelangen Streit um einen Gaspreisdeckel. Die EU-Spitzen zeigten sich jedoch zuversichtlich, dass es am Montag bei den Energieministern eine Einigung geben werde. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte die Hoffnung, dass der Preisdeckel am Ende so hoch ausfallen werde, „dass er niemals relevant wird“. Die Bundesregierung fürchtet andernfalls Versorgungsengpässe.

Im Gespräch war zuletzt eine Obergrenze für den europäischen Referenzpreis von 180 bis 220 Euro pro Megawattstunde. Die EU-Kommission hatte 275 Euro vorgeschlagen. Ein solcher Wert wurde selbst auf dem Höhepunkt der Gaskrise im August nicht erreicht, womit der Preisdeckel faktisch wirkungslos wäre.

Debatte über Antwort auf US-Subventionen

Angesichts der massiven US-Subventionen für die Industrie vereinbarten die Staats- und Regierungschefs grundsätzlich, die heimische Wirtschaft zu stärken. Allerdings soll die EU-Kommission dafür zunächst bis Ende Januar konkrete Vorschläge machen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen schwebt dafür zunächst die gezielte Nutzung von bereits bereitgestellten Mitteln aus dem Corona-Wiederaufbaufonds vor. „Mittelfristig“ brauche es aber eine „strukturelle Antwort“ in Form eines neuen „Souveränitätsfonds“.

Zuspruch erhielt von der Leyen unter anderem von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der für eine gemeinsame Lösung in Form von „europäischen Garantien“ für die Mitgliedstaaten warb. Lösungen auf nationaler Ebene hingegen würden wegen der unterschiedlichen Finanzstärke der Länder den Wettbewerb verzerren, warnte er.

Finnlands Regierungschefin Sanna Marin lehnte die Einrichtung eines neuen Europa-Fonds hingegen ab: „Finnland ist nicht bereit für neue Instrumente.“ Scholz seinerseits will vor allem auf weitere Gespräche mit den USA setzen: Er sei „zuversichtlich, dass wir auf dem Wege des Dialogs Verbesserungen mit den Amerikanern erreichen können“, sagte er.

(peng/dpa/AFP/Reuters)
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