Zähes Ringen in Brüssel EU-Amerika-Gipfel lässt Russland außen vor

Brüssel · Nach acht Jahren wollten die Vertreter von über einer Milliarde Menschen in Europa und Amerika auf höchster Ebene gemeinsame Interessen entwickeln, Standpunkte annähern und Abkommen voranbringen. Es wurde ein zähes Ringen.

 Pedro Sanchez (Spanien), Charles Michel (Europäischer Rat), Luiz Inacio Lula da Silva (Brasilien) und Ursula von der Leyen (Kommission) am Rande der Gipfelberatungen in Brüssel.

Pedro Sanchez (Spanien), Charles Michel (Europäischer Rat), Luiz Inacio Lula da Silva (Brasilien) und Ursula von der Leyen (Kommission) am Rande der Gipfelberatungen in Brüssel.

Foto: AP/Francois Walschaerts

Es sei „bemerkenswert“ dass das Treffen von 60 Staats- und Regierungschefs aus Europa, Lateinamerika und Karibik am Ende doch noch eine gemeinsame Formulierung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gefunden habe, meint Bundeskanzler Olaf Scholz am Ende des zähen Ringens in Brüssel.Tatsächlich verständigten sich 59 Staatsvertreter auf eine Verurteilung der russischen Aggression. Doch Nicaragua legte sich quer, folgte offenbar den dringenden Empfehlungen aus Moskau. Als Ergebnis sind die Vertreter von einer Milliarde Menschen nun gemeinsam nur noch „zutiefst besorgt“ über den „anhaltenden Krieg gegen die Ukraine“. Russland kommt nicht mehr vor.

Gleichwohl demonstrieren viele große Zufriedenheit. „Das war ein sehr erfolgreiches Treffen“, sagt Scholz. Von einem „politischen Erfolg“ spricht der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen feiert sogar einen „ausgezeichneten Gipfel“ und unterstreicht das mit persönlichen Emotionen: „Es fühlt sich an wie ein Neuanfang unter alten Freunden.“ Scholz stellt heraus, dass Europa und Amerika mit dem zweitägigen Gipfel „eine lange vermisste Tradition“ wieder aufgegriffen hätten. Es dauerte acht Jahre, bis sich die Verantwortlichen der vielen Länder von zwei Kontinenten wieder trafen. Den Fehler wollen sie nicht wiederholen. Sie beschließen in Brüssel, einen dauerhaften Koordinierungsmechanismus aufzubauen - und sich fortan alle zwei Jahre zum Gipfel zu treffen.

Denn es bleibt viel zu bereden zwischen der EU und der Celac, der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten. Denn das wichtigste Vorzeigeprojekt von „alten Freunden“ (hier die EU einerseits und Brasilien, Argentinien, Urugua und Paraguay andererseits) muss weiter warten: Das seit 33 Jahren auf dem Tisch liegende EU-Mercosur-Abkommen, das seit vier Jahren fertig verhandelt ist und eine der größten Freihandelszonen der Welt schaffen könnte, bleibt auch bei diesem Gipfel weiter stecken. Scholz ist sich jedoch sicher, dass beide Seiten nun „so viel Schwung genommen“ hätten, dass die Verständigung in den nächsten Monaten schon klappen werde. „Bis Jahresende“ wird nun angepeilt.

Im Kern geht es um Befürchtungen in der EU, die hiesigen Rindfleischproduzenten und andere Landwirte könnten in einen zu scharfen Wettbewerb kommen. Ergänzt wird das durch die Sorge, dem Schutz der Regenwälder trage das Abkommen nicht genügend Rechnung. Das trifft auf die Perspektive Lateinamerikas, die geprägt ist von Erinnerungen an frühere brutale europäische Ausbeutung in Kolonialzeiten. Da kommen neue Versuche der Bevormundung gar nicht gut an. Scholz macht das in Brüssel von sich aus deutlich, stellt „Respekt in der Beziehung Europas zu den übrigen Ländern“ heraus und dass „wir da auch etwas im Hinblick auf die koloniale Vergangenheit Europas zu tun haben“. Statt Vormacht oder Übermacht gehe es um „Augenhöhe“.

Zwischendrin vermengen sich beide Aspekte, kommen von den Celac-Staaten zum Thema Russlands Angriff auf die Ukraine die Hinweise darauf, dass man die Anwendung von „viel Macht von Großen gegen Kleine“ auch in Lateinamerika gesehen habe. Diese „Verlogenheit“ könne man sich in Zukunft sparen. Und so kommt denn die UN-Charta in das Abschlusspapier, wird klar gemacht, dass die Einhaltung des Völkerrechtes in aller Interesse sei - verbunden mit der Hoffnung, dass der Krieg bald mit einem dauerhaften und gerechten Frieden enden möge.

Wenigstens gibt es Absichtserklärungen für bilaterale Abkommen. So unterzeichnen EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton und Chiles Außenminister Alberto von Klaveren Stork am Dienstag ein entsprechendes Papier, das sich um den Lithiumabbau dreht. Die EU braucht das dringend für Batterien. Sonst bleibt es bei herausragenden Klima- und Digitalisierungsvorhaben von China abhängig. Dafür ist die EU bereit, größere Teile der Wertschöpfung im Land des Abbaus zu belassen. Auch Abkommen mit Argentinien und Mexiko kommen voran. Zugleich versuchen einzelne EU-Vertreter, ihre Länder als attraktiv für lateinamerikanische Pflegekräfte darzustellen. Deshalb gibt es immer wieder bilaterale Begegnungen am Rande.

Schon zu Beginn des Gipfels hat von der Leyen eine weitere Zahl ins Fenster gestellt: Bis Ende 2027 könnten mehr als 45 Milliarden Euro an Investitionen aus Europa in die Celac-Länder fließen. Außer für den Abbau von Lithium in Chile könnte damit auch die Gewinnung von Rohstoffen in Argentinien gefördert werden, der Ausbau der Telekommunikation in der Amazonas-Region Brasiliens, der Bau einer Metro-Linie in Kolumbien oder elektrische Busse in Costa Rica und viele weitere Projekte in den Ausbildungs- und Gesundheitssystemen Amerikas.

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