EU-Erneuerbare-Richtlinie Die Revolution frisst die Bürokratie
Brüssel/Berlin · Was gerade bei der EU für den Ausbau der Erneuerbaren beschlossen wurde, kann Deutschlands Bürokratie Beine machen. Ist sie in besonderen Gebieten zu langsam, kommt die Genehmigung automatisch.
Union und Grüne sind sich gerade in Zeiten der Wahlkämpfe nicht gerade nah. Bei den Protagonisten der neuen Erneuerbaren-Richtlinie der EU sieht das jedoch ganz anders aus. Der Jubel war bei den beiden parlamentarischen Spezialisten des EU-Gesetzes nur graduell unterschiedlich: „Diese Richtlinie kann ein Booster für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren werden,“ meinte Markus Pieper, Chefunterhändler der CDU, als das Parlament jetzt den letzten Haken an das Paket machte. Grünen-Klima-Experte Michael Bloss kläng ähnlich: „Damit zünden wir den Turbo für die Erneuerbaren.“ Was bedeuten „Booster“ und „Turbo“ für Deutschland allgemein und NRW im Besonderen?
Die Richtlinie legt als europaweites Ziel fest, dass der Anteil der Erneuerbaren an der Energieerzeugung bis zum Jahr 2030 auf 42,5 Prozent steigen muss. Die Mitgliedsländer sollten versuchen, möglichst schon auf 45 Prozent zu kommen. In den laufenden Verhandlungen der Kommission mit den einzelnen EU-Ländern werden individuelle Ziele festgelegt. Weil andere länger brauchen, sollen auch schnellere Mitglieder weiter zulegen. So soll auch Schweden mit seinem bereits weit über 50 Prozent liegenden Erneuerbaren-Anteil die Hände nicht in den Schoß legen, sondern noch einmal kräftig draufsatteln.
Denn ob zum Beispiel Deutschland die 42,5 Prozent bis 2030 schafft, wird angesichts des gerade bei 23 Prozent angekommenen Zwischenwertes von Experten bezweifelt. Bezogen auf den Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung konnten die Werte zwar binnen eines Jahres von 41 auf 46 Prozent gesteigert werden. Bis 2030 sollen es nach den EU-Vorgaben jedoch 80 Prozent sein. Das Land muss beim Ausbau also noch sehr viel schneller werden.
Ein Schlüssel liegt in der Genehmigung neuer Anlagen. Bis die Behörden grünes Licht geben, haben Betreiber Tausende Seiten zu bearbeiten und müssen dann jahrelang warten. Genehmigungszeiträume zwischen fünf und sieben Jahren sind keine Seltenheit. Wenn das so weitergehen würde, wären 2030 gerade die Genehmigungen erteilt und noch nichts gebaut. Die EU-Richtlinie gibt nun vor, dass diese Verfahren nur noch zwei Jahre dauern dürfen, in eigens ausgewiesenen „Beschleunigungsgebieten“ dürfen es noch höchstens zwölf Monate sein. Dabei werden die Pflichten und Rechte umgedreht: Liegt in den besonderen Gebieten nach einem Jahr noch keine Genehmigung vor, gilt diese automatisch als erteilt und der Bau kann sofort beginnen. Auch der Naturschutz wird dabei im Verfahren relativiert. Eine einzelne Kröte kann ein Projekt nicht mehr aufhalten, wenn sie in der betroffenen Gegend zwar selten ist, insgesamt in Europa aber noch ausreichend vertreten ist.
Die Behörden werden sich also schnellstmöglich sehr viel mehr Personalkraft und Sachverstand zulegen müssen, um den Turbo auch administrativ starten zu können. NRW will das auch durch eine neue Zuständigkeit begünstigen. Statt jede Kommune individuell die geplanten Anlagen prüfen zu lassen, soll die letzte Verantwortung für den Ausbau von Randbereichen nun bei den Bezirksregierungen liegen. Wegen einer vorgeschalteten Notfall-Verordnung der EU konnte die behördlichen Umstellung bereits beginnen. Die zeitlich begrenzte Regelung wurde nun mit unbegrenzter Geltung in die Erneuerbaren-Richtlinie übernommen. Auf dieser Grundlage geht NRW daran, 1,8 Prozent seiner Fläche zu Beschleunigungsgebieten zu machen. Das klingt wenig, ist aber wegen der großen Anteile besiedelter Flächen eine ganze Menge.
Bloss feiert die Richtlinie als „Revolution“. Damit würden die Erneuerbaren von den Ketten der Bürokratie befreit. „Wir schaffen die Bürokratie ab, um uns von Kohle, Öl und Gas zu befreien“, unterstreicht der Klimapolitiker der Grünen. Pieper macht klar, dass es den Grünen nicht gelungen sei, die Einstufung holzbasierter Biomasse aus der Qualifikation „erneuerbar“ herauszuhalten. „Weil Bäume aber eben nachwachsen, haben CDU und CSU sich hier durchgesetzt“, macht der Unions-Verhandler klar. Für ihn ist auch wichtig, dass die Richtlinie zusätzliche Innovationsanreize setze. So wird vorgeschrieben, dass fünf Prozent der neuen Anlagen auch über den aktuellen Stand der Technik hinausgehen müssen. Pieper: „Pilotprojekte für schwimmende Solarzellen, Winddrachen, Flusskraftwerke, Algenhäuser, Solarstraßen oder Wasserkraftwerke mit Energie von Meereswellen - nicht ist unmöglich und fast alles hat Zukunft“.

Wie funktioniert Fernwärme?
Der CDU-Europa-Abgeordnete will dabei jedoch den Menschen die Furcht vor einem Zubau ihrer Umgebung mit Windrädern und Solarfabriken nehmen - denn Pläne für gesteuerten Import von grünem Strom sind als Teil der Richtlinie ebenfalls vorgeschrieben. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass sich der Grünstrombedarf mit der E-Mobilität und der Umstellung der Industrie nach seiner Schätzung bis zur Klimaneutralität mindestens Verfünffachen wird. Deshalb müsse Deutschland 50 bis 70 Prozent davon aus Europa importieren. Zudem gilt ein Augenmerk der Grundlast, um auch für die Zeiten der Bevölkerung Energiegarantie zu geben, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.