Zypern übernimmt EU-Ratspräsidentschaft Ein Problemstaat zieht an die Spitze Europas

Nikosia · Obwohl das kleine Zypern bei der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft vor riesigen Herausforderungen steht, hängt der Inselstaat die Messlatte hoch. Ob Zypern dem Anspruch erfüllen kann, muss sich zeigen, denn bei vielen Fragen ist es eher Teil des Problems als der Lösung.

:"Wir wollen nicht nur beweisen, dass wir ein Großereignis ausrichten können, sondern dass Zypern die Aufgabe so gut meistern kann wie jedes andere europäische Land", sagt der Präsidentschaftssprecher Kostas Giennaris.

Doch düster sieht es für Nikosia derzeit vor allem in finanzieller Hinsicht aus. Mitte der Woche erklärte sich die Eurozone dazu bereit, auch Zypern als fünftem Euroland Finanzhilfe zu gewähren. Zypern befindet sich nun in Gesellschaft der Krisenstaaten Griechenland, Spanien, Portugal und Irland - und ist das erste Land, das die EU-Ministertreffen leitet und zugleich Hilfe aus dem Euro-Rettungsfonds erhält.

Nach Angaben von Diplomaten müssen die Banken in Zypern wegen der Schuldenkrise im benachbarten Griechenland rund 3,5 Milliarden Euro abschreiben. Für die drei großen US-Ratingagenturen sind zyprische Staatsanleihen daher bis auf Weiteres nur noch Ramsch.

Der Konflikt mit der Türkei

Die seit 38 Jahren in einen griechischen Süden und einen türkischen Norden geteilte Insel steht zudem im Mittelpunkt des Konflikts um einen EU-Beitritt der Türkei. Den im Jahr 1974 von der Türkei besetzten Norden erkennt nur Ankara an, zum Süden pflegt die Türkei keine Beziehungen. Alle Versuche, die Insel wieder zu einen, scheiterten bisher. Während der Ratspräsidentschaft ist zumindest nicht mit neuen Vorstößen der EU oder der internationalen Gemeinschaft zu rechnen, weil im Februar in Zypern ein neuer Präsident gewählt werden soll.

Die Regierung in Ankara hat klargemacht, dass sie die zyprische Ratspräsidentschaft boykottieren wird. "Sie werden noch nicht einmal mit uns sprechen", sagte die zyprische Außenministerin Erato Kozakou-Marcoullis. Das Ganze sei in einer "völligen Sackgasse". Die ohnehin vor allem wegen der Zypern-Frage seit Juni 2010 auf Eis liegenden Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei werden bis zum Jahresende also keinerlei neue Impulse bekommen.

Mit seinen knapp 840.000 Einwohnern übernimmt Zypern die sechsmonatige Ratspräsidentschaft zum ersten Mal seit dem EU-Beitritt der Insel im östlichen Mittelmeer im Jahr 2004. Dies ist schon ohne Konflikt mit der Türkei und prekäre Finanzlage eine anspruchsvolle Aufgabe: Das Land muss die Ministertreffen koordinieren und nach Kompromissen suchen. Wenn Verhandlungen stocken, rollen Diplomaten schon einmal mit Hinweis auf die Präsidentschaft genervt die Augen. Dies will die zyprische Regierung aber auf jeden Fall vermeiden.

Harte Verhandlungen um EU-Budget

Dass Zypern es während der Präsidentschaft angesichts seiner eigenen Probleme nicht schaffen könnte Akzente zu setzen, hält der Politikwissenschaftler Hubert Faustmann von der Universität Nikosia für unwahrscheinlich. "Die griechischen Zyprer wollen einen Imagewechsel und zeigen, dass sie gute Europäer sind", sagt er.

Gerade im kommenden Halbjahr sollen die harten Verhandlungen um das EU-Budget für die Jahre 2014 bis 2020 entscheidend vorankommen — dabei geht es um eine Billion Euro, deren Verteilung zwischen armen und reichen Ländern heftig umstritten ist.

EU-Diplomaten bezweifelten wiederholt, dass Zypern hier einen Durchbruch schafft, doch ein Vertreter des Landes gibt sich selbstbewusst: "Unser Ziel ist eine Grundsatzeinigung beim EU-Gipfel im Oktober, um das Thema bis zum Jahresende abzuschließen."

(AFP)
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