EU-Parlament zu Gefahren nach Brasilia Dreifaches Bravo für Deutschlands Kampf gegen rechten Terror

Straßburg · Vereitelte Putschpläne in Deutschland, der Schlag gegen militante Reichsbürger und dann der Sturm auf demokratische Institutionen in Brasilia bringt das EU-Parlament dazu, die Gefahren durch rechtsextremistischen Terror kurzfristig auf die Tagesordnung zu setzen. Die Debatte lässt tief blicken.

EU-Kommissarin Ylva Johansson bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Brüssel.

EU-Kommissarin Ylva Johansson bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Brüssel.

Foto: dpa/Virginia Mayo

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson ist zu Beginn der Hundert-Minuten-Debatte über die Gefahren rechtsextremistischer Terrorgefahren in Europa voll des Lobes über den Schlag gegen gewaltbereite Putschisten in Deutschland. „Der deutschen Polizei sage ich: Bravo! Bravo, dass sie durchgegriffen haben, bravo, dass sie gezeigt haben, dass die Demokratie in Deutschland widerstandsfähig ist.“ Sie warnt zugleich davor, die Deutsches-Reich-Nostalgie von Prinz Heinrich und seinen Mitverschwörern zu unterschätzen. Doch eine Stunde später haben sich die Rechtspopulisten im Parlament genau darauf verständigt. Sie tun alles, um den Schlag gegen die selbsterklärten Putschisten lächerlich zu machen, die Gefahren von rechts zu verniedlichen.

Es zieht sich wie ein roter Faden durch die lange Debatte. Hier die Kommission, die Ratspräsidentschaft und die Redner von Linken, Sozialdemokraten, Konservativen, Christdemokraten, Liberalen und Grünen, die die größer werdende Bedrohung und die vielen Toten rechtsextremistischen Terrors beklagen. Dort die Rechtspopulisten, die die Gefahren bestenfalls unter ferner liefen einsortieren, stattdessen jedoch immer wieder die Bedrohung durch Linksextremisten, Islamisten und Migrantengewalt in den Vordergrund stellen.

Mit dieser Debatte mache sich das EU-Parlament zum Clown, meint Balazs Hidveghy von der ungarischen Fidesz-Partei. Es sei doch „lächerlich“, dass durch eine Verschwörung von „ein paar Dutzend Küchenhilfen und Veteranen“ eine Gefahr für die Demokratie ausgegangen sei. Die eigentliche Gefahr liege in der illegalen Einwanderung. Für den AfD-Europa-Abgeordneten Bernhard Zimniok war die Festnahme einer „Kasperletruppe“ von ein paar Dutzend vorwiegend mit Armbrüsten und Langwaffen Bewaffneten eine „mediale Inszenierung“, die wie ein Kartenhaus zusammengebrochen sei. Eine Gefahr durch Rechtsextremismus existiere „nur in der Einbildung“, erklärt der französische Rechtspopulist Jean-Paul Garraud.

Die deutsche Grünen-Politikerin Alexandra Geese widerspricht entschieden. Die Rechtsextremisten, die den Staatsstreich geplant hätten, seine keine Verwirrten gewesen, sondern gebildete Menschen mit Einfluss, die an der Waffe ausgebildet gewesen seien. Und sie verweist darauf, wie leicht die Radikalisierung durch die sozialen Netzwerke geschehe. Die großen Internet-Konzerne wüssten darum, sagt Geese. Bereits 2019 habe ein internes Facebook-Memo klar analysiert, wie die Algorithmen Desinformationen und Hass verstärkten. „Sie ändern es nicht, weil sie mit dem Ausverkauf der Demokratie viel Geld verdienen“, klagt die Grünen-Internet-Expertin.

Über weite Strecken wird die politische Bestandsaufnahme eines gefährdeten Europas zu einem Kampf um die Interpretationshoheit. Stanislaw Brudzinski von der polnischen PiS-Partei klagt, als rechtsextrem tituliert zu werden. Seine Überzeugung: „Nationalsozialismus und Faschismus wurzeln beide im Linksextremismus. Das ist nicht unser Problem“, lautet seine Feststellung Gaby Bischoff von den deutschen Sozialdemokraten erinnert jedoch daran, dass die Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der rassistischen Morde des NSU lange Scheuklappen gehabt hätten. Nach dem Schlag gegen die Reichsbürgerszene sei nun deutlich geworden, dass allein in Deutschland 21.000 Menschen dem Umfeld zuzurechnen seien. „Es ist die Mitte der Gesellschaft, die in solche Gruppen geht“, warnt die Vize-Fraktionschefin.

Terry Reintke, Grünen-Frationsvorsitzende, zieht einen historischen Vergleich. Vor hundert Jahren hätten Konservative und Liberale geglaubt, die Extremisten in Schach halten zu können. Das sei ein Fehler gewesen und der dürfe heute nicht wiederholt werden. „Auch hier im Haus gibt es die gefährliche Tendenz, die extreme Rechte zu normalisieren“, klagt Reintke. Und Valérie Hayer von den französischen Liberalen spricht die christlich-konservative EVP direkt an: „Hofieren Sie nicht die extremen Rechten.“

Die EVP-Innenexpertin Lena Düpont hat da längst einen größeren Bogen gezogen. Es sei nicht nur falsch, die Gefahren radikalisierter und bewaffneter, zum Umsturz entschlossener Rechtsextremisten zu verharmlosen. Es gelte klar zu machen, dass niemand über dem Recht stehe, „keine Reichsbürger, keine iranischen Sprengstoffattentäter, keine Clans, keine radikalen Aktivisten“, betont die CDU-Politikerin. „Demokratie lebt von der Einhaltung von Regeln“, unterstreicht Düpont, deshalb sei es „vollkommen egal“, ob die Demokratie von rechts von links, aus ideologischen oder religiösen Motiven angegriffen werde.

Die nächsten Schritte? Schwedens Ministerin für nordische Zusammenarbeit, Jessika Roswall, verspricht Nachbesserungen an der Anti-Extremismus-Strategie der EU während der laufenden Ratspräsidentschaft, will bei einer Konferenz in Stockholm im März der Frage nachgehen, wie Terroristen unter Extremisten rekrutiert werden. Und Kommissarin Johansson plant für den Mai ein neues Gesetzespaket, um ausländische Einflussnahmen auf die Öffentlichkeit und die Wahlen in der EU offenzulegen und zu unterbinden. „Wenn die Demokratie unter Attacke steht, ist Russland nie weit“, teilt die Kommissarin mit. Und: „Wir werden mehr tun, um externe Bedrohungen zu bekämpfen“, etwa durch die Offenlegung russischer Finanzströme in Richtung nationaler Parteien in der EU.

Zuvor macht auch die Parlamentsmehrheit Nägel mit Köpfen und beschließt zwei Resolutionen: Die eine verlangt die Bildung eines Sondertribunals zur Verfolgung des Verbrechens des russischen Angriffskrieges. Die andere ruft Kommission und Rat dazu auf, die iranischen Revolutionsgarden auf die Terroristenliste der EU zu setzen.

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