Besuch des EZB-Chefs im Bundestag Draghi in der Falle

Meinung | Berlin · EZB-Chef Mario Draghi begibt sich in die Höhle des Löwen: Er stellt sich in Berlin den Fragen der Bundestagsabgeordneten. Es wird ein schwieriger, ein heikler Termin für den Italiener.

 EZB-Chef Mario Draghi steht wegen seiner Niedrigzinspolitik in der Kritik.

EZB-Chef Mario Draghi steht wegen seiner Niedrigzinspolitik in der Kritik.

Foto: dpa, ade gfh

Denn zumindest die Mehrheit der Unionsabgeordneten hat kein Verständnis mehr dafür, dass die Europäische Zentralbank (EZB) stoisch an ihrer Nullzinspolitik festhält. Auch die fortgesetzten Staatsanleihekäufe, durch die riesige Geldmengen in den Finanzmarkt gepumpt werden, lösen wachsende Kritik zumindest bei den Konservativen aus. Draghi wird gute Argumente dafür finden müssen, dass die Notenbank diesen in Deutschland so umstrittenen Kurs auf absehbare Zeit fortsetzt. Beobachter der EZB rechnen nicht damit, dass die Notenbank ihre Nullzinspolitik in diesem und im kommenden Jahr beendet.

Ohne Draghi und sein beherztes Eingreifen Mitte 2012 mit seinem berühmten Zitat, die Notenbank werde alles unternehmen, um den Euro zu retten ("whatever it takes"), wäre vor vier Jahren die Wende in der Euro-Krise nicht gelungen. Doch jetzt nähert sich die EZB mit ihrem Kurs einem kritischen Punkt. Die Risiken ihrer Geldpolitik sind mittlerweile deutlich sichtbar, der Nutzen dagegen wird kleiner. An den Immobilien- und Aktienmärkten sind wegen der Massen billigen Geldes, das Anlagemöglichkeiten sucht, gefährliche Preisblasen entstanden.

Große, systemrelevante Banken, aktuell die Deutsche Bank und auch die Commerzbank, sind erkennbar in großen Schwierigkeiten, weil ihr Geschäftsmodell wegen der Niedrigzinsen nur noch schlecht funktioniert. Und: Sparer in ganz Europa finden nur noch schwer sichere Anlagemöglichkeiten für ihre Altersvorsorge. Das ist ein großes Problem, denn der Kontinent altert mit großer Geschwindigkeit. Vielen Älteren droht Altersarmut, nicht so sehr in Deutschland, aber in anderen europäischen Ländern.

Alle diese Argumente kennt Draghi. Er wird sie im Bundestag kontern müssen. Eines seiner Hauptargumente lautet, dass die Finanzkrise noch nicht überwunden sei, dass die Gefahren für den Euro jederzeit zurückkehren könnten. Zudem mache die EZB Geldpolitik für die gesamte Euro-Zone, nicht nur für Deutschland. Die Euro-Zone sei weiterhin anfällig für Attacken von Spekulanten, zumal die wirtschaftliche Entwicklung der Euro-Staaten weiterhin so sehr auseinander geht. Draghi wird erneut an die Regierungen der Euro-Staaten — auch an die Bundesregierung - appellieren, die von der EZB durch expansive Geldpolitik gekaufte Zeit endlich zu nutzen und Strukturreformen einzuleiten, damit der Euro-Raum wettbewerbsfähiger wird.

Das sind gute Argumente und Appelle, aber sie greifen heute kaum mehr. Die EZB hat sich in eine Falle manövriert, aus der sie momentan nur schwer herauskommt: Ihre Nullzinspolitik hat fatalerweise dazu geführt, dass der Reformdruck auf viele Euro-Staaten geringer geworden ist, dass sich die Regierungen ihre wachsenden Defizite wieder leichter leisten können. Die Regierungen haben Draghi im Stich gelassen und ihre Arbeitsmärkte und Sozialsysteme eben nicht oder zu wenig reformiert. Das gilt mit Abstrichen auch für Deutschland, das Teile der Jahrhundertreform Agenda 2010 wieder zurückgenommen hat, etwa durch die Rente mit 63.

Draghi muss die Kritik, die ihm heute aus dem Bundestag entgegen schallen wird, ernst nehmen. Es ist für den Erfolg seiner Politik eminent wichtig, dass im wichtigsten Euro-Mitgliedsland das Vertrauen gegenüber der EZB nicht in Misstrauen umschlägt. Es war daher auch kontraproduktiv, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Draghi für das Entstehen der AfD mitverantwortlich gemacht hat. Dafür trägt Draghi keine Verantwortung. Denn es war das Versäumnis der Politik, dass sie keinen Mut für Reformen gefunden hat, die nötig gewesen wären.

Nun aber muss Draghi ein Szenario präsentieren, wie die Notenbank aus ihrer Nullzinspolitik wieder herausfindet. Das kann nur in vorsichtigen, kleinen Schritten passieren. Wie die Aktienmärkte darauf reagieren werden, darf dabei kein ausschlaggebender Punkt sein. Die Inflationsraten sind niedrig, auch in Deutschland. Ein Ausstieg aus der Politik des ultralockeren Geldes muss absehbar eingeleitet werden.

(mar)
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