Umfrage in drei Kontinenten Die Meinungen zum Krieg gehen weit auseinander

Brüssel · Russland ist schwächer als vermutet, aggressiver als gedacht und verspielt seine Rolle in der Welt. Diese Sicht herrscht allerdings nur im Westen vor. In Asien gibt es einen ganz anderen Blick auf ein Jahr Krieg in Europa. Das enthüllt eine aktuelle Umfrage im Auftrag einer europäischen Denkfabrik.

Eine ukrainische Fahne bei einem Friedensmarsch in Helsinki im Mai vergangenen Jahres.

Eine ukrainische Fahne bei einem Friedensmarsch in Helsinki im Mai vergangenen Jahres.

Foto: dpa/Vesa Moilanen

Das dürfte sogar im Kreml zu denken geben: Nach einem Jahr Krieg gegen die Ukraine ist nach Meinung der Menschen in drei Kontinenten der Westen geeint. Sogar 59 Prozent der Russen sehen ganz bis überwiegend gleiche Einstellungen der USA und der EU. Doch wenn es um die Bedingungen für eine Kriegsende oder die künftigen Machtverhältnisse in der Welt geht, klaffen die Meinungen in der Welt weit auseinander. Das ergab eine groß angelegte Umfrage mit fast 20.000 Befragten in drei Kontinenten. Die Ergebnisse stellte jetzt die europäische Denkfabrik ECFR (Europäischer Rat für Auswärtige Beziehungen) vor.

Bereits im vergangenen Sommer hatte der ECFR die Menschen zum Krieg befragen lassen. Daher können der britische Europa-Experte Timothy Garton Ash und seine Kollegen im Verlauf nun auch von einer Verhärtung der Auffassungen sprechen. So wird die Invasion mehrheitlich von Briten und EU-Bürgern nicht mehr als Krieg in Europa, sondern als Krieg gegen Europa aufgefasst. Anders als vor einem halben Jahr will die Mehrheit nun auch, das die Ukraine ihr gesamtes Territorium zurückerobert, selbst wenn der Krieg dann länger dauert und mehr Opfer fordert. Eine deutliche Mehrheit unterstützt denn auch den Verzicht auf russische fossile Brennstoffe; nur für jeden Vierten hat die störungsfreie Energieversorgung Priorität.

Das sehen die Menschen in anderen Teilen der Welt völlig anders. In China (42 Prozent), der Türkei (48 Prozent) und Indien (54 Prozent) wollen die meisten den Krieg so schnell wie möglich beendet sehen, auch wenn die Ukraine dann auf Teile ihres Territoriums verzichten muss. Nur 23, 27 und 30 Prozent sind dort auf europäischer Linie.

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Foto: AFP/MANDEL NGAN

Auseinander gehen auch die Annahmen, welche Motivation hinter der Unterstützung der Ukraine steht. Für einen Großteil der Amerikaner und Inder geht es um die Verteidigung der Demokratie. Dagegen sagen die meisten Europäer und Türken, es gehe um ihre eigene Sicherheit. Aber 46 Prozent der Russen und 40 Prozent der Chinesen glauben, dass es sich vor allem um die Verteidigung westlicher Dominanz handelt.

Davon scheint auch der Blick auf Stärke oder Schwäche Russlands bestimmt. Die meisten Inder, Chinesen und Russen halten Russland für stärker als sie erwartet hatten oder zumindest so stark wie vermutet. Schwächer als gedacht erscheint Russland den Amerikanern und Europäern. Allerdings schloss sich dieser Einschätzung auch jeder vierte Russe an.

Die neue Einigkeit und Entschlossenheit des Westens sagt jedoch noch nichts über die Erwartung zum Stärkeverhältnis in zehn Jahren aus. Viele glauben, dass die von den USA angeführte liberale Ordnung ihre globale Dominanz verlieren wird. Nur sieben Prozent der Russen und sechs Prozent der Chinesen sagen eine anhaltende amerikanische Dominanz voraus. In den USA und in Europa geht jeder Vierte davon aus, dass die Welt von einer Blockbildung beherrscht wird hinter denen einerseits die USA und andererseits China stehen werden.

Die aktuelle Einstellung zu Russland ist die Statistik mit besonders weit auseinander gehenden Bewertungen: Eine überwältigende Mehrheit der Amerikaner (71 Prozent), Briten (77) und EU-Bürger (66) sehen Russland inzwischen als Gegner oder Rivalen, bei Indern (19), Chinesen (20) und Türken (26) ist es nur eine Minderheit. Umgekehrt ist es bei der Annahme, Russland sei eher Verbündeter und Partner: Das glauben nur noch acht Prozent der Briten, 14 Prozent der Amerikaner und 15 Prozent der EU-Bürger, aber 69 Prozent der Türken, 79 Prozent der Chinesen und 80 Prozent der Inder.

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