Deutschland und Niederlande Auf einmal richtig gute Freunde

Düsseldorf · Über den deutsch-niederländischen Beziehungen lag lange der Schatten der Nazi-Vergangenheit. Heute sind sie besser denn je.

 Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, Kanzlerin Angela Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer (v.l.) unterhalten sich in einer Pause während der „Lohengrin“-Premiere in Bayreuth

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, Kanzlerin Angela Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer (v.l.) unterhalten sich in einer Pause während der „Lohengrin“-Premiere in Bayreuth

Foto: dpa/Matthias Balk

Ausgerechnet im deutschesten aller Musiktempel pflegen die beiden Wagner-Fans Angela Merkel und Mark Rutte ein besonders familiäres Verhältnis. Gemeinsam scherzten und feierten die Regierungschefs Deutschlands und der Niederlande in einer Pause während der „Lohengrin“-Premiere in Bayreuth. Das Ganze vor vielen Fotografen, so dass schnell klar werden sollte: Hier besteht eines der engsten Verhältnisse in der Europäischen Union. Man kennt sich, versteht sich und hilft sich.

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren nicht immer so herzlich. Die Zeit unmittelbar nach dem Krieg war noch geprägt vom deutschen Angriff auf das Land, den Verwüstungen und der Judendeportation durch die Nazis. In den 90er Jahren erregte sich vor allem die niederländische Jugend über den hartherzigen Umgang der Deutschen mit Flüchtlingen, die ausländerfeindlichen Gewalttaten und den angeblichen Mangel an Demokratie im Nachbarland. Aufgeschreckt durch eine Umfrage des Forschungsinstituts Clingendael aus dem Jahr 1993, wonach die niederländische Jugend Deutschland als dominant (71 Prozent), vorwiegend negativ (56 Prozent) und noch immer kriegslüstern (46 Prozent) ansah, riefen die beiden Außenminister Klaus Kinkel und Pieter Hendrick Kooijmans sogar eine Deutsch-Niederländische Konferenz ins Leben, die später in das Deutsch-Niederländische Forum umbenannt wurde.

Doch das ist alles Schnee von gestern. Inzwischen sind die Beziehungen „stinknormal“ geworden, wie sie der niederländische Historiker Friso Wielenga bezeichnet, der in Münster das Zentrum für Niederlande-Studien leitet. Und sie sind wirtschaftlich sehr eng. So beträgt das bilaterale Handelsvolumen, also die Summe der Exporte und Importe 177 Milliarden Euro. Damit sind die Niederlande nach China und noch vor den USA und Frankreich der wichtigste Handelspartner Deutschlands, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleinen Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht. Und Nordrhein-Westfalen, das mit Niedersachsen zusammen eine 577 Kilometer lange Grenze zum Nachbarstaat hat, profitiert ganz besonders von dieser engen Partnerschaft. Kein Wunder, dass der 2017 neugewählte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) seine erste Auslandsreise in die Niederlande unternahm.

Auch die Jugend hat zueinander gefunden, ob durch Reisen oder das Studium im jeweils anderen Land. Aktuell haben sich 22.200 Deutsche in den Niederlanden immatrikuliert und stellen laut Bundesregierung mit 25 Prozent den größten Anteil unter den ausländischen Studenten. Ebenso gilt in Forschung, Wissenschaft und Bildung die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern als vorbildlich.

Selbst militärisch gibt es zwischen den beiden Nato-Ländern keine Tabus mehr. Niederländer dienen unter deutschen Truppenführern ebenso wie Angehörige der Bundeswehr unter niederländischem Kommando. Was 1995 mit der Aufstellung des 1. Deutsch-Niederländischen Korps begonnen habe, so Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), sei zuletzt zu "einer einzigartig engen Kooperation" der Streitkräfte geworden.

Besonders in Wirtschafts- und Finanzfragen gelten die Niederländer inzwischen als die logischen Verbündeten der Deutschen. Sie könnten das „im Interesse Europas sein, wenn sie sich darauf einigen, wofür wir alle Europa benötigen und weniger darauf, was wir nicht wollen“, schränkt FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke ein. Der Krefelder Abgeordnete und Niederlande-Experte warnt zugleich: „Wir müssen erkennen, dass das gute Verhältnis gerade bei jüngeren Menschen nicht vertieft ist. Man findet sich gegenseitig „ziemlich cool“ aber das kann sich sehr schnell ändern.“

Denn verdeckte Spannungen, so Fricke, gebe es schon jetzt im Bereich Unternehmensbesteuerung, in dem die Niederlande mit aggressiv niedrigen Steuern Firmenzentralen nach Amsterdam, Rotterdam und Den Haag locken. Schließlich birgt auch die Umstellung der Energieversorgung in Deutschland Risiken, denn die Niederlande sind einer der wichtigsten Lieferanten des Landes. Und auch bei Versandapotheken macht die niederländische Konkurrenz den stationären Apotheken in Deutschland das Leben schwer. Hier plant die Bundesregierung sogar ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Auch gute Freundschaften müssen also einige Spannungen aushalten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort