EU-Innenministertreffen Deutschland macht Weg zu schärferen Asyl-Regeln frei

Brüssel · Auf fast alle Bestandteile eines Paketes zu einer gemeinsamen EU-Asylpolitik hatten sich die Innenminister schon im Juni geeinigt. Übrig blieb ein Krisenmechanismus, zu dessen Blockade Deutschland die entscheidende Stimme lieferte. Nun gab Berlin grünes Licht – und Innenministerin Nancy Faeser stimmte zu.

 Innenministerin Nancy Faeser bei einer Sitzung des Innenausschusses im September in Berlin.

Innenministerin Nancy Faeser bei einer Sitzung des Innenausschusses im September in Berlin.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Donnerstag ist der große Tag, an dem die EU-Innenminister bei ihrem Treffen in Brüssel endlich die Asyllücke schließen wollen. Doch Nancy Faeser, Ministerin im Bund und SPD-Spitzenkandidatin in Hessen, ist schon am Mittwoch Abend da. Hinter einer bayerischen Blaskapelle und begleitet von Deutschlands EU-Botschafter Michael Clauss und seiner Frau Daniela zieht sie mit großem Tamtam in den Konzertsaal im Europaviertel zum (vorgezogenen) Empfang zum Tag der Deutschen Einheit ein. Sie wirkt nicht nur erleichtert, sie bestätigt es auch gerne und lächelnd. Stunden zuvor hat ihr Parteifreund und Bundeskanzler Olaf Scholz ein großes Problem für Faeser beiseite geräumt.

Mit seiner Ankündigung, Deutschland stehe einem europäischen Asyl-Krisenmechanismus nicht mehr im Weg, versenkte der Regierungschef eine (mit Faeser abgestimmte) Weisung von Außenministerin Annalena Baerbock an Clauss, auf Linie zu bleiben und der Krisenverordnung so auf keinen Fall zuzustimmen. Weil die EU-Minister deshalb in diesem Punkt seit Juni keine geeinte Position haben, lehnte es das Parlament ab, mit dem Ministerrat auch über die vielen anderen Punkte zu verhandeln, die in ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem münden sollen. Damit hat das Parlament den Druck auf Deutschland erhöht. Faeser hätte diesen Druck an diesem Donnerstag von allen Seiten zu spüren bekommen. Und in der heißen Phase ihres Wahlkampfes in Hessen den Vorwurf gehört, sie stehe einer Lösung der Migrationskrise im Weg.

So ist denn „zuversichtlich“ ihr meist verwendetes Wort, als sie am Donnerstag das Brüsseler Ratsgebäude betritt. In den nächtlichen Vorverhandlungen der Diplomaten seien sie schon „sehr weit gekommen“. Deutschland will nur noch drei Dinge reinverhandeln. Wenn sich die Situation in einem Mitgliedsland so verschärft, dass der Krisenmechanismus greift, sollen Kinder von einem Aufenthalt in den Außenlagern befreit bleiben, soll der betreffende Staat den Alarm nur auslösen dürfen, wenn er nachweislich eigene Maßnahmen zuvor „voll ausgeschöpft“ hat und soll die Feststellung des Krisenfalles nur erfolgen, wenn dem eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten zustimmt. Am Ende verkündet Faeser, es werde mit der neuen Verordnung auch in Krisenzeiten „nicht mehr zu Rechtlosigkeit und Chaos“ kommen.

Auf dem Verhandlungstisch in Brüssel liegt ein Text, der genau festhält, was alles an vrschärften Auflagen für Flüchtlinge möglich sein soll, wenn die Kapazitäten eines Staates durch den Ansturm überstrapaziert werden, etwa weil ein Drittstaat Flüchtlinge „instrumentalisiert“. Damit meinen die EU-Gesetzgeber Zustände wie an der Grenze zu Polen, wohin Belarus Flüchtlinge in großer Zahl brachte, um die EU zu destabilisieren und eine Abschwächung der Sanktionen zu erreichen. Zunächst steht in dem Text, dass die Rettung von Schiffbrüchigen durch private Hilfsorganisationen nicht als ein solches „Instrumentalisieren“ angesehen werden könne. Den Satz will Italien gestrichen wissen. Auch Polen, Ungarn und Österreich melden Bedenken an. Faeser teilt am Abend mit, nur Polen und Ungarn seien beim Nein geblieben.

So wird am Nachmittag das Signal Deutschlands entscheidend, nicht weiter im Weg zu stehen. Faeser gibt das offiziell zu Protokoll, nachdem sie zugleich einen „von Spanien hervorragend ausgehandelten Kompromiss“ gefeiert hat. In dem Kompromiss sei die „Instrumentalisierung enger gefasst“ worden, gebe es die Zusicherung, dass Familien mit Kindern auch im Krisenfall „priorisierte“ Verfahren bekämen und komme es auch nicht zu Herabsetzungen humanitärer Standards. Nachlesen lässt sich das noch nicht. Denn erst müssen die Ständigen Vertreter der 27 Mitgliedstaaten die Details verhandeln und formal den letzten Beschluss fassen. Dies wird nach Einschätzung von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson „in den nächsten Tagen“ erfolgen. Es seien keine großen Punkte mehr offen. Aber auch sie will nicht sagen, wo der Text den italienischen und deutschen Bedingungen entgegengekommen ist - und wo nicht.

Jedenfalls spricht in Berlin Scholz von einem „Durchbruch“ und würdigt die Verdienste Faesers daran. Die hebt ihre Hand auch zu zwei weiteren wichtigen Punkten des Treffens: Der Schutzstatus für ukrainische Flüchtlinge wird verlängert, und mit den lateinamerikanischen Amtskollegen gibt es die Verabredung, gegen organisierte Kriminalität und Drogenhandel intensiver zusammenzuarbeiten.

Das gesamte Asylpaket muss jedoch erst noch mit dem Parlament ausverhandelt werden. Das kann noch dauern. Und die Umsetzung noch viel länger. Am Ende werde es jedoch eine „wirksame und dauerhafte Entlastung“ geben, zeigt sich Faeser sicher.

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