Konvention seit 2011 nicht ratifiziert Der löchrige Schutz für Frauen in der EU

Brüssel · Das Ringen um einen europaweiten Schutz für Frauen geht nun ins zwölfte Jahr. Die entsprechende Istanbul-Konvention gibt es seit 2011 - und ist noch immer nicht umfassend ratifiziert. Doch nun kommt Bewegung in das Schutzbemühen, wie sich Donnerstag in Brüssel an zwei Fronten zeigte.

 Von männlicher Gewalt bedrohte Frau - hier in einer glücklicherweise nur gestellten Szene.

Von männlicher Gewalt bedrohte Frau - hier in einer glücklicherweise nur gestellten Szene.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

„Jede Woche kommen in Europa 50 Frauen zu Tode in Folge häuslicher Gewalt“, stellt Robert Biedron, polnischer Sozialdemokrat und Chef des Gleichstellungsausschusses, zu Beginn einer Debatte an diesem Donnerstag im Europäischen Parlament in Brüssel fest. „Diese Szenen der Gewalt gehören in den Mülleimer der Geschichte“, kommentiert seine schwedische Fraktionskollegin Evin Incir wenig später. Und die irische Christdemokratin Frances Fitzgerald fordert entschieden: „Was eine Vergewaltigung in Frankreich ist, muss auch in Rumänien eine Vergewaltigung sein.“ Doch es ist ein Drehen im Kreis. Wie seit fast zwölf Jahren. Unveränderte Gefährdung der Frauen, kein einheitlicher europäischer Schutz. Das könnte sich nun ändern.

Denn auf dem Tisch der gemeinsamen Sitzung von Rechts- und Gleichstellungsausschuss liegen an diesem Donnerstag gleich zwei europäische Gesetzespakete. Das eine stellt einen neuen Anlauf dar, die im Mai 2011 vom Europarat verabschiedete Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt endlich auch von der EU ratifizieren zu lassen. Das andere ist der Entwurf eines Kommissionsvorschlages vom letzten Frauentag im März 2022, europaweit gleiches Strafrecht zum Schutz von Frauen und Mädchen durchzusetzen. Zu beiden Vorhaben laufen die letzten parlamentarischen Fachberatungen. Ende Januar endet die Frist für Änderungsanträge, dann bildet das Parlament eine Position für die Verhandlungen mit dem Rat der Regierungen und der Kommission.

Die Erwartungen sind groß, dass es der schwedischen Ratspräsidentschaft bis Mitte des Jahres gelingt, eine Verständigung hinzubekommen. Arba Kokalari, schwedische Christdemokratin, erinnert daran, dass das Parlament seit neun Jahren den Rat unter Druck setzt, die so genannte Istanbul-Konvention zu ratifizieren. In der Vergangenheit wurde das Zögern damit begründet, dass einige Mitgliedsstaaten die Übereinkunft erst durch ihre nationalen Parlamente ratifizieren müssten, bevor dies auch die EU als ganzes tun könne. Doch inzwischen liegt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vor, wonach dafür keine Einstimmigkeit nötig sei, sondern das auch per Mehrheitsentscheid erfolgen könne. Für die konservative schwedische Parlamentarierin heißt das: „Es ist an der Zeit, dass wir die Gewalt gegen Frauen endlich beenden.“

Doch der Widerstand bleibt auch unter den Mitgliedern des Europarates laut. Die Türkei hatte die Konvention als erste übernommen - und ist vor knapp zwei Jahren als erste wieder ausgestiegen. Auch Polen denkt daran, sich aus der Konvention zu verabschieden. Die Sie respektiere die Religion nicht ausreichend und fördere „Ideologien über Geschlechter“, meinten Abgeordnete der rechtspopulistischen Mehrheit. Sie wollen stattdessen an einem Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen und Abtreibungen festhalten.

Und so beklagt denn auch Bartosz Arlukowicz, polnischer Arzt und Abgeordneter der polnischen christdemokratischen Bürgerplattform, dass es in seinem Land „keinen legalen Zugang zu Abtreibungen mehr“ gebe. Seine irische Fraktionskollegin Fitzgerald berichtet, wie sie ihre Recherchen regelrecht „schockiert“ hätten, als sie sah, wie groß die Unterschiede bei der sexuellen Aufklärung in den verschiedenen EU-Mitgliedsländern sind. Die spanische Rechtspopulistin Margarita de la Pisa Carrion widerspricht den Absichten der Parlamentsmehrheit auch in der gemeinsamen Ausschusssitzung. „Die Frauen wären besser geschützt, wenn wir mehr auf die Familie setzen würden“, lautet ihre Empfehlung - und gibt außerdem zu Protokoll, dass die EU „nicht die Böswilligkeit des Mannes voraussetzen“ dürfe.

Die übrigen Fraktionen wollen jedoch klare Strafandrohungen gegen Gewalttäter zu verbindlichem europäischem Recht machen. Beim erzwungenen Geschlechtsverkehr soll es keine Ausreden geben. „Nur ein Ja soll ein Ja sein, alles andere muss als Nein gelten“, stellt die schwedische Verhandlungsführerin Incir fest. Ihr ist auch die von der Kommission gewählte Definition von Vergewaltigung zu eng. Es gebe viele Taten, die mit einer Penetration vergleichbar seien, deshalb dürfe das Eindringen nicht das alleinige Merkmal bleiben.

Aber darf die EU auf diesem Feld überhaupt Recht setzen? Gehört das nicht zu den Zuständigkeiten der nationalen Parlamente? So ist es aus dem Rat zu hören. „Vergewaltigung findet grenzüberschreitend statt“, lautet dagegen das Argument der irischen Verhandlungsführerin Fitzgerald. Die Bestrafung von Vergewaltigung und Verstümmelung aus dem Gesetz wieder rauszunehmen, komme „überhaupt nicht in Frage“, unterstreicht sie. An dieser Stelle wird hinter den Kulissen noch verhandelt. Auch die Komplexe zur Prostitution oder Sexarbeit, zum Missbrauch von Prostituierten und zum Menschenhandel sind noch umstritten.

Deutschland ist da bald einen Schritt weiter. Zwar gilt die Istanbul-Konvention bereits seit 2018, aber nicht komplett. Die Ampel-Koalition hat sich jedoch inzwischen entschieden, die Vorbehalte nicht weiter aufrecht zu erhalten. Somit wird sie hier ab 1. Februar voll wirksam.

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