Europa Der Kampf der Lobbyisten in Brüssel

Brüssel · Tausende Interessenvertreter umschwirren die Entscheider der Europäischen Union und versuchen, die Politik zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Besonders eifrig: die Deutschen.

 EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (Mitte) beim G20-Gipfel in Brisbane.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (Mitte) beim G20-Gipfel in Brisbane.

Foto: dpa, nie fpt

Wer glaubt, dass seine Interessen im fernen Brüssel nicht vertreten würden, irrt. Es geschieht nur anders als gedacht. Neben der eigenen Regierung und den Europaabgeordneten aus der eigenen Region existiert ein gewaltiges Geflecht von mindestens 15.000 Lobbyisten, die ein Sammelsurium von Partikularinteressen in die EU-Kommission, das Europäische Parlament und den Rat der 28 europäischen Regierungen tragen. Und da ist wirklich für jeden etwas dabei.

Das fängt damit, dass jeder Mensch auch Verbraucher ist und der europäische Dachverband der Verbraucherzentralen natürlich auch mit einem großen, 22 Lobbyisten starken Büro vertreten ist. Dasselbe gilt für den Bund der Steuerzahler auf EU-Ebene. Genauso wohnt jeder Bundesbürger in einem der 16 Bundesländer, die allesamt Landesvertretungen in Brüssel aufgebaut haben. Und wer in einer Gewerkschaft ist, wird vom DGB-Büro vertreten, wenn er der IG Metall angehört oder Verdi, sogar doppelt. Die 1,3 Millionen Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr in Deutschland werden vom Deutscher Feuerwehrverband repräsentiert. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Aber natürlich, und da muss man sich nichts vormachen, sind es die Interessen der Wirtschaft, die in diesem Bereich die Brüsseler Bühne dominieren. Rund 60 Prozent der Interessenvertreter sind Unternehmen oder deren Branchenverbänden zuzuordnen, das meiste Geld dafür haben sie ohnehin. Und es ist vor allem ihr Einfluss hinter den Kulissen, der immer wieder aufs Neue für Aufregung sorgt und 2008 zur Einführung des sogenannten Transparenzregisters geführt hat, das EU-Kommission und Europaparlament seit 2011 gemeinsam unterhalten.

Ein Tabakkonzern führt die Liste an

Der interessierte Beobachter bekommt dort einen — wenn auch noch unvollständigen und mühsam zusammenzustellenden — Überblick über die Brüsseler Lobbyistenszene. Schon besser klappt das auf der Website Lobbyfacts, auf der Statistiken und Filterfunktionen die Suche vereinfachen.

So ist zum Beispiel schnell ersichtlich, dass Deutschland mit 856 der eingetragenen 7086 Lobbyorganisationen nach Belgien die zweitmeisten stellt. De facto sind es die meisten, weil viele der Organisation lediglich ihren Sitz in Belgien angegeben haben, aber für Unternehmen in ganz anderen Ländern aktiv sind — Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien etwa. Zu finden sind aber auch jeweils ein Unternehmen aus Indien und Israel sowie drei aus Australien und vier aus Kanada, dem Land mit dem die EU gerade das umstrittene Freihandelsabkommen Ceta ausgehandelt hat.

Der einzige chinesische Konzern, der sich in das Transparenzregister eingetragen hat, schaffte es auch gleich in die Top Ten der Unternehmen, die das meiste Geld in den Kampf um Aufmerksamkeit und Einfluss stecken. Drei Millionen Euro jährlich gibt der Handyhersteller Huawei dafür auf EU-Ebene aus. Angeführt wird die Liste vom Tabakkonzern Philipp Morris mit fünf Millionen Euro pro Jahr und zehn Mitarbeitern im Brüsseler Büro, gefolgt vom Mineralölkonzern Exxon, dem Softwareriesen Microsoft und dem nächsten Energieunternehmen Shell.

Siemens investiert 4,3 Millionen Euro

Der "Branchenprimus" ist gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass die Angaben stets auch mit Vorsicht zu genießen sind. An die Öffentlichkeit gelangte Dokumente nämlich belegen, dass Philipp Morris — als im vergangenen Jahr eine Verschärfung der EU-Tabakrichtlinie verhandelt wurde — zeitweise rund 160 Angestellte auf das Thema angesetzt hatte. Zugleich zeigt der Fall auch, dass Lobbyisten auch nicht immer alles bekommen, was sie wollen. Erst vor wenigen Tagen nämlich wurde eine Klage des Konzerns in Großbritannien gegen eben jene verschärfte Tabakrichtlinie zur Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verwiesen.

Auf Platz fünf folgt mit Siemens das erste deutsche Unternehmen. Laut Transparenzregister investiert es 4,3 Millionen Euro im Jahr dafür, dass 21 Beschäftigte seine europäischen Interessen vertreten. Die sind so kunterbunt wie der Konzern selbst. Dort, wo die spezifischen Themenfelder aufgelistet werden, gibt es immerhin 62 Einträge, die von der Finanzmarktregulierung über die nächste Eisenbahnreform und die EU-Chemikalienrichtlinie hin zum europäischen Erneuerbaren-Energien-Gesetz reichen. Die Kosten für die Interessenvertretung liegen — sollten die Angaben denn korrekt sein — bei nicht einmal einem Drittel dessen, was die EU an Siemens überweist: knapp 7,3 Millionen Euro für öffentliche Aufträge und 8,8 Millionen Euro für Zuschüsse etwa für Forschungsprojekte.

Auf den Plätzen sieben, elf, zwölf und 14 folgen Bayer, Daimler, Evonik und BASF. Der Stuttgarter Autobauer mit dem Stern gibt an, 2,6 Millionen Euro für die Interessenvertretung auf EU-Ebene auszugeben und zehn Mitarbeiter damit betraut zu haben. Der Zusatz freilich ist interessant: "Nicht dauerhaft in Brüssel eingesetzte Mitarbeiter sind anteilig erfasst." Nicht unwahrscheinlich ist es nämlich, dass andere Unternehmen sich erst gar nicht die Mühe machen, diese überhaupt zu berücksichtigen.

Nicht nur die Großen sind fleißig

Ohnehin ist nur über Umwege ersichtlich, wie viele Lobbyisten in ein und dieselbe Richtung arbeiten. Man nehme erneut das Beispiel Daimler. Zwar haben beispielsweise die französischen und italienischen Fahrzeughersteller beim aktuellen Streit über die Zulässigkeit eines Kältemittels für Klimaanlagen oder im Gesetzgebungsprozess zu den CO2-Abgaswerten ganz andere Interessen vertreten als die Stuttgarter. Gleichwohl gibt es viele Felder, auf denen gemeinsam agiert wird, nicht zuletzt im europäischen Dachverband, der wie sein deutsches Mitglied VDA in Brüssel aktiv ist.

Keineswegs jedoch ist es so, dass am Sitz der europäischen Institutionen nur die großen Branchen Autos, Chemie, Finanzen oder Elektronik vertreten wären. Es geht querbeet. Viele Unternehmen agieren über ihre Verbände, allein aus Deutschland aber sind allein 135 direkt in Brüssel tätig: A wie Adidas, B wie Bosch, C wie Celesio, D wie Deutsche Bahn, E wie Eon, F wie Flughafen München, G wie Grünenthal, ein Pharmaunternehmen aus Aachen und so weiter und so fort. Und natürlich sind auch Nichtregierungsorganisationen und öffentlich-rechtliche Anstalten mit von der Partie; am Ende der Liste stehen unter W beispielsweise die Umweltschützer des WWF und die Fernsehmacher vom ZDF.

Trotz dieser langen Aufzählungen fehlen noch immer Unternehmen, die nachweislich einen Sitz in Brüssel haben — Erhebungen der Anti-Lobby-Aktivisten von ALTER-EU zufolge 27 Prozent der ortsansässigen. Zu den prominenten Beispielen zählten Apple, Heineken oder Time Warner. Ein weiterer Kritikpunkt: Immer wieder enthält das Transparenzregister auch offensichtlich falsche Angaben. So gibt etwa die US-Investmentfirma Black Rock Lobbykosten in Höhe von 125.000 Euro im Jahr an, die Brüsseler Lobbyagentur Fleishman-Hillard bekommt aber vom selben Unternehmen 225.000 Euro für den selben Zweck, die Black Rock aber nicht angibt.

Die neue EU-Kommission hat den lauten Ruf nach einem überarbeiteten, vor allem aber verpflichtenden Transparenzregisters nun erhört. Der für das Thema zuständige Kommissionsvize Frans Timmermans hat bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf in seiner Amtszeit angekündigt — ob zu Beginn oder zum Ende seiner fünf Jahre steht freilich noch nicht fest.

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