Zyperns Wirtschaft entsetzt über Rettungspaket "Das ist finanzieller Völkermord"

Berlin · Während Zyperns Regierung am Abend über eine Entlastung der Kleinsparer beim geplanten Zugriff auf die Sparvermögen der Bürger berät, reagiert die zyprische Wirtschaft mit Entsetzen auf das in Brüssel verhandelte Rettungspaket.

"Wir fühlen uns wie während des Krieges", sagte der Präsident der Industrie- und Handelskammer von Limassol, Philokypros Andreou, der Tageszeitung "Die Welt". "Wir fühlen uns so wie 1974, als die Türken einmarschiert sind. Heute gibt es nur einen Unterschied: Die Waffen sind nicht mehr Gewehre, die gegen uns gerichtet sind, sondern Finanzinstrumente. Das ist für uns ein finanzieller Völkermord", sagte der Kammerpräsident, der einen großen Teil der zyprischen Wirtschaft vertritt. Limassol ist die zweitgrößte Stadt der Insel und deren wirtschaftliches Zentrum. Andreou beklagt die aus seiner Sicht mangelnde Solidarität der Europäer mit Zypern.

"Wir fühlen uns von unseren Verbündeten betrogen und verraten", sagte Andreou der Zeitung. "Ja, wir haben korrupte Banker und Politiker. Aber wir Zyprer, wir sind Opfer. Merkel und Schäuble schaden vielen unschuldigen Menschen, um fünf oder sechs Oligarchen in Russland zu treffen." Wie viele Unternehmer befürchtet Andreou, dass die Brüsseler Einigung die Geschäftsgrundlage der zyprischen Wirtschaft zerstören wird.

Offshore-Banken, ein Immobilienboom und sehr viel russisches Geld haben in den vergangen zwanzig Jahren das Wachstum auf der Insel getrieben. Damit sei es jetzt vorbei, glaubt Andreou. Künftig werde das Geld aus dem Ausland ausbleiben. "In den vergangenen 48 Stunden ist unsere Finanzindustrie ruiniert worden", sagte Andreou am Montagnachmittag. "Ich weiß nicht, was aus unserem Bankensystem werden soll." Das werde Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben. Unternehmen hätten ohnehin bereits große Schwierigkeiten sich zu finanzieren; künftig werde es für viele unmöglich. "Die meisten Firmen hierzulande werden verschwinden", prophezeit Androu.

Parlament berät am Abend erneut

Das zyprische Parlament wird nach Aussagen des Regierungssprechers der geforderten Abgabe auf Bankeinlagen nicht zustimmen. Zyperns Präsident Nikos Anastasiades habe Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Währungskommissar Olli Rehn am Montagabend informiert, sagte Regierungssprecher Christos Stylianides am Dienstag. Ein Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin werde höchstwahrscheinlich im Verlauf des Tages folgen. Das zyprische Parlament sollte am Dienstag um 17 Uhr (MEZ) zusammenkommen, um über die geplante Zwangsabgabe abzustimmen. Keine der Parteien in dem 56 Sitze umfassenden Parlament hat eine Mehrheit.

Die Billigung des Pakets in Höhe von 5,8 Milliarden Euro ist Voraussetzung für die internationalen Hilfen von zehn Milliarden Euro. Nach dpa-Informationen will die Regierung in Nikosia nun doch Kleinsparer mit Guthaben bis zu 20.000 Euro davon verschonen. Wie die Nachrichtenagentur dpa aus Kreisen des Finanzministeriums erfuhr, sollen von Guthaben darüber bis zu 100.000 Euro wie gehabt 6,75 Prozent abgezogen werden. Für Beiträge über 100.000 Euro sollen 9,9 Prozent an den Staat gehen.

Freibetrag von 20.000 Euro

Die Eurogruppe billigte Zypern am Montag mehr Spielraum bei der Zwangsabgabe zu. Kleinsparer sollten anders behandelt als die Inhaber großer Vermögen, teilte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem nach einer Telefonkonferenz mit. Den zyprischen Behörden würde mehr "Progressivität" bei der Zwangsabgabe erlaubt - auf konkrete Grenzwerte und Prozentsätze ging der Sozialdemokrat nicht ein.

Der Niederländer hielt ohne Wenn und Aber an der sogenannten Solidaritätsabgabe fest. Diese Einmalzahlung werde genutzt, um das zyprische Bankensystem zu sanieren. "Ohne diese Maßnahme wäre Zypern mit Szenarien konfrontiert gewesen, die Anleger wesentlich schlechter gestellt hätten."

Der französische Finanzminister Pierre Moscovici teilte auf dem Online-Kurznachrichtendienst Twitter mit, er sei von Anfang dafür gewesen, Kleinsparer auszunehmen, falls dies Zypern wünsche.

Die Eurogruppe rief die zyprischen Behörden und das Parlament auf, die vereinbarten Maßnahmen nun rasch zu verankern. "Die Mitgliedstaaten der Eurozone sind bereit, Zypern auf der Basis des vereinbarten Anpassungsprogramms bei seinen Reformanstrengungen zu helfen", hieß es in der Erklärung.

(REU/dpa/felt/csi)
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