Digitaler EU-Binnenmarkt Mr. Oettinger, reißen Sie diese Mauer ein!

Meinung | Düsseldorf · Die EU-Kommission hat das bisher umfangreichste Konzept vorstellt, das Europas Digitalwirtschaft in Schwung bringen soll. Die Pläne der EU für einen gemeinsamen europäischen digitalen Binnenmarkt sind überfällig. Andernfalls verliert Europa bei der Digitalisierung den Anschluss. Doch eine Sache darf dabei nicht vergessen werden.

 Günther Oettinger als EU-Kommissar für Digitalwirtschaft rief zur "Aufholjagd".

Günther Oettinger als EU-Kommissar für Digitalwirtschaft rief zur "Aufholjagd".

Foto: dpa

Günther Oettinger war noch nicht geboren, als sich 1951 sechs europäische Länder zur sogenannten Montanunion zusammenschlossen. Damals ging es darum, den grenzüberschreitenden Handel mit Kohle und Stahl zu vereinfachen, der bis dahin noch immer durch hohe Zölle erschwert wurde. Es war eine Mischung aus Wirtschafts- und Friedensplan, den der französische Außenminister Robert Schumann sich ersonnen hatte.

Heute, beinahe 75 Jahre später, braucht es eine neue Union — eine Digitalunion. Kohle und Stahl des 21. Jahrhunderts sind Bits und Bytes. Günther Oettinger hat das erkannt. Sein Strategiepapier zum gemeinsamen digitalen Binnenmarkt ist allerdings auch überfällig angesichts der bisherigen europäischen Kleinstaaterei im Netz. Während die Schlagbäume an den Landesgrenzen längst gefallen sind, bleiben sie im Internet weiterhin unten.

Wer online über Landesgrenzen hinweg einkaufen will, nimmt davon am Ende oft aufgrund horrender Versandkosten Abstand. Nicht selten ist sogar der Import aus China schneller und günstiger als das Paket aus dem Nachbarland. Und nur weil ein Musikvideo in dem einen Land verfügbar ist, heißt das noch lange nicht, dass dies überall gilt — zu oft folgt am Ende der freundliche Hinweis, dass dieses Video aufgrund rechtlicher Bestimmung in diesem Land nicht verfügbar ist.

Kein Wunder, dass die großen Digitalunternehmen wie Facebook, Google und Co. in den USA entstehen statt in Europa. Start-ups können dort ihre Ideen auf einem Markt mit 320 Millionen Menschen ausprobieren — während europäische Konkurrenten erst mühsam Sprach- und Rechtsräume überwinden müssen.

Die sprachlichen Barrieren werden bleiben, doch die EU-Kommission will nun zumindest dafür sorgen, dass Europa einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt bekommt. Der wäre dann mit 500 Millionen Menschen sogar größer als der amerikanische.

Will Europa den Anschluss im Digitalzeitalter nicht verlieren, hat die EU-Kommission die Pflicht, so schnell wie möglich für Erleichterungen zu sorgen. Genauso wichtig ist es jedoch, dass dabei ein rechtlich einheitlicher Rahmen geschaffen wird, der für klare Datenschutzstandards sorgt und Marktmissbrauch verhindert. Europa muss seine eigene kulturelle Identität auch im World Wide Web behalten. Nur dann würde der Digitalunion in 75 Jahren eine ähnliche Bedeutung beigemessen wie heute die Montanunion.

(frin)
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