Britisches Kabinett Minister treten nach Brexit-Sitzung zurück

Brüssel · Nachdem der Entwurf für das Brexit-Abkommen im britischen Kabinett gebilligt worden ist, hat der EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Sondergipfel für den 25. November einberufen. Am Morgen treten vier hochrangige Politiker aus dem Kabinett May aus.

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten soll am 25. November in Brüssel stattfinden, teilte Tusk am Donnerstagmorgen mit. Die britische Premierministerin Theresa May stellt zudem am Donnerstag den Entwurf für das Brexit-Abkommen im Parlament in London vor - und muss sich auf heftigen Gegenwind einstellen. Das 585 Seiten starke Dokument war nach stundenlanger Debatte am Mittwochabend vom Kabinett gebilligt worden.

Am Donnerstagmorgen gibt es mehrere personelle Konsequenzen: Der britische Brexit-Minister Dominic Raab ist zurückgetreten. Er erklärte, der von Premierministerin May vorangetriebene EU-Ausstiegsvertrag und insbesondere die Vorschläge zu Nordirland bedrohten die Integrität des Vereinigten Königreichs. "Ich kann keine unbefristete Notfallklausel akzeptieren." Zudem könne er die Bedingungen des Abkommens nicht mit den Versprechungen in Einklang bringen, die dem Land gemacht worden seien. Gegen 11 Uhr wurde bekannt, dass auch die Arbeitsministerin Esther McVey zurückgetreten ist. Im Anschluss trat mit Suella Braverman ein weiteres Regierungsmitglied zurück. Braverman war Staatssekretärin in Raabs Brexit-Ministerium.

Auch der britische Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara ist wegen des Brexit-Vertragsentwurfs zurückgetreten. Er könne die Vereinbarung über den EU-Austritt Großbritanniens nicht unterstützen und habe deshalb die Regierung verlassen, erklärte Vara am Donnerstag im Kurzbotschaftendienst Twitter. Das geplante Abkommen lasse offen, wann das Vereinigte Königreich "endlich ein souveräner Staat" werde, begründete der Politiker aus der konservativen Partei von Premierministerin May seine Entscheidung.

Die Regierungschefin dürfte weiter größte Schwierigkeiten haben, für den Deal eine Mehrheit im Parlament zu finden, das den Vertrag später ratifizieren muss. Die Opposition kündigte an, gegen das Abkommen zu stimmen. Harsche Kritik kam auch von Brexit-Hardlinern in ihrer eigenen Partei und der nordirischen DUP. Mays Minderheitsregierung ist auf die Unterstützung der DUP-Abgeordneten angewiesen.

Den Entwurf anzunehmen sei schwer gewesen, vor allem mit Blick auf die umstrittene Irland-Frage, sagte May. "Aber ich glaube, es ist eine Entscheidung, die zutiefst im nationalen Interesse ist." Die Regierungschefin räumte mit Blick auf das Parlament in London ein: "Es liegen noch schwierige Tage vor uns."

Einer der größten Widersacher Mays, der einflussreiche Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg, sprach in der BBC von einem "ziemlich miesen Abkommen". Er kündigte an, im Parlament gegen den Entwurf zu stimmen.
DUP-Chefin Arlene Foster teilte mit: "Als Unionisten können wir kein Abkommen unterstützen, das das Vereinigte Königreich auseinanderbrechen lässt." Das habe Folgen für die Abstimmung.

Trotzdem sind die Chancen auf einen geordneten Brexit mit der Billigung durch das Kabinett deutlich gestiegen. Damit ist aus Sicht der EU-Kommission ausreichender Fortschritt erreicht, so dass ein Brexit-Sondergipfel einberufen werden könnte - nach Angaben von Diplomaten voraussichtlich am 25. November. EU-Chefunterhändler Michel Barnier will sich am Donnerstagmorgen mit EU-Ratschef Donald Tusk treffen. Danach gibt Tusk eine Erklärung ab (08.10 Uhr).

Irlands Regierungschef Leo Varadkar begrüßte die Entscheidung des britischen Kabinetts. May habe ihr Versprechen gehalten, den Friedensprozess und das Karfreitagsabkommen zu schützen.

Kommt der Vertrag zustande, wäre ein geordneter Austritt am 29. März 2019 gesichert sowie eine Übergangsphase bis mindestens Ende 2020, in der sich fast nichts ändert. Ob dies gelingt, dürfte sich aber erst nach einer Zitterpartie in den nächsten Wochen herausstellen.

EU-Chefunterhändler Barnier sprach am Mittwochabend in Brüssel von einer "entscheidenden Etappe", die nun erreicht sei. "Wir sind an einem wichtigen Punkt dieser außergewöhnlichen Verhandlungen angekommen", sagte Barnier. Es bleibe aber noch viel, viel Arbeit.

Von EU-Seite dürfte es nach Darstellung von Diplomaten nicht allzu große Schwierigkeiten geben. Die Botschafter der 27 bleibenden EU-Länder wurden am Mittwoch ausführlich informiert. Es seien keine entscheidenden Bedenken geäußert worden, hieß es anschließend.

Eine Vorentscheidung treffen die Staats- und Regierungschefs bei dem geplanten Sondergipfel. Letztlich muss auch das Europaparlament den Vertrag ratifizieren. Mehrere Europaabgeordnete begrüßten die Einigung, kündigten aber eine genaue Prüfung an.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schrieb in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk, die Brexit-Verhandlungen seien fast am Ziel. Die EU-Kommission empfehle den EU-Staaten, auf Grundlage des entscheidenden Fortschritts die Verhandlungen abzuschließen.

In Großbritannien ist hingegen vor allem die von den Unterhändlern vereinbarte Lösung für die Frage umstritten, wie künftig Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden sollen.

Die Europäische Union verlangte dafür eine Garantie und setzte sie im Entwurf auch durch. Barnier beschrieb den nun getroffenen Kompromiss so: Man werde alles daran setzen, in der im Vertrag vorgesehenen Übergangsphase eine dauerhafte Lösung auszuhandeln. Im Juli 2020 könne man entscheiden, die Übergangsphase zu verlängern.

Nur wenn nach dieser Frist keine Lösung gefunden ist, tritt eine Notfallklausel in Kraft. Demnach würde Großbritannien zunächst als Ganzes in der Europäischen Zollunion bleiben. Für Nordirland würden einige weitergehende Bestimmungen gelten.

Der sogenannte Backstop stößt auf heftigen Widerstand bei den Brexit-Hardlinern in Mays Konservativer Partei und in der DUP. Die nordirische Partei sträubt sich gegen jegliche Sonderbehandlung Nordirlands. Zudem fordern die Brexit-Hardliner in Mays Partei, dass der Backstop nur für eine begrenzte Zeit gelten dürfe.

Außenminister Heiko Maas (SPD) begrüßte die vorläufige Einigung der Verhandlungsführer von London und Brüssel. "Nach Monaten der Ungewissheit haben wir jetzt endlich ein klares Signal von Großbritannien, wie der Austritt geordnet vonstatten gehen könnte."

Der früherer EU-Kommissar Günter Verheugen warnte in einem Gastbeitrag in der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstagsausgabe) davor, die Briten in ein zu enges EU-Korsett zu zwingen. "Die EU kann kein Interesse an einer politischen Krise in Großbritannien haben."

(felt/dpa)
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