Konflikt zwischen Alt und Jung Der Brexit ist ein Weckruf für die Generation Internet

Meinung | Düsseldorf · Der Brexit rüttelt an dem, was die junge Generation für selbstverständlich hielt: Mobilität, Weltoffenheit, Zusammenwachsen mit anderen Kulturen. Deshalb muss sie jetzt handeln, fordert unsere Autorin - die Wut darf nicht im Netz verpuffen.

 Junge Leute demonstrieren am Samstag in London gegen die Entscheidung für einen Brexit.

Junge Leute demonstrieren am Samstag in London gegen die Entscheidung für einen Brexit.

Foto: afp, os

Das Internet ist heftig unruhig. Unser Netzwerk brodelt. Hier sind wir organisiert, tauschen uns aus, fühlen das Leiden der anderen und teilen unser eigenes. Die Briten haben mehrheitlich für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Und wir sind traurig darüber. Und fassungslos! Das ist nicht nur historisch, das ist vor allem beängstigend. Für uns, die Generation Internet und ab dafür, die so wunderbar vernetzt ist, die in jeder Kultur zu Hause sein kann, die mehrere Sprachen spricht, die in jedem Land einen Freund hat.

Wir wollen doch zusammenwachsen, wir wollen die starren Grenzen der Nationalstaaten hinter uns lassen, wir wollen uns doch gar nicht über unsere Nationalität identifizieren, sondern über den Common-Sense-Lebensstil: frei, mobil, interkulturell, weltoffen, modern.

Aber die Alten wollen das anscheinend nicht. Jedenfalls belegt das nicht nur die Statistik, sondern auch unser Gefühl. Wie sonst soll man sich erklären, dass irgendjemand all diese Vorzüge, die wir so sehr genießen, wütend ablehnt? Alles läuft doch wunderbar! Wir reisen, wir leben, wir gehen raus in die Welt und empfangen die Welt bei uns und reichen sogar Kekse dazu. Wir flattern über offene Grenzen, lassen uns von Musik und Kultur aus Fernost und Kanye West inspirieren, wir feiern uns und das Uns feiert uns zurück.

Das ist doch herrlich! Dass wir in ein Europa hineingeboren wurden, in dem sich alle darauf geeinigt haben in Frieden zu koexistieren. Ist ja auch einfach viel besser so. In dem alle der Meinung waren, dass wenn wir unseren Kontinent zusammen gestalten, wir doch viel effizienter sein können und es langfristig alle besser haben werden. Dass wir in einem Europa leben, das die Grenzen einfach mal aufgemacht und gesagt hat: Lasst uns das hier ganz groß machen, lasst uns Unionsbürger werden! Lasst uns solidarisch miteinander sein.

Der alte weiße Mann

Und jetzt wollen das genau diese Alten auf einmal nicht mehr? Die ältere Generation ist innerhalb weniger Stunden nach dem beschlossenen Austritt Großbritanniens zu unserem Gegenspieler geworden. Der alte weiße Mann, der mit Donald Trump zurück zur alten Stärke, mit der AfD zurück zur Heimeligkeit und mit Nigel Farage zurück zur Unabhängigkeit kehren möchte. Und das kann's ja wohl nicht sein. Das macht uns wütend! Wie kann man nur so borniert und kurzsichtig sein? Hilfe, die Alten schrauben an unserer Freiheit, rufen wir.

Aber die Wut verpufft im Internet. Und Rock'n'Roll dröhnt weiter nur von der anderen Seite. Denn das muss man den EU-Gegner leider lassen: Während sie es doch tatsächlich geschafft haben, Europa nach ihren Vorstellungen zu verändern, - und das ist ja wohl Rock'n'Roll! - haben wir es uns bequem gemacht. Ein brodelndes Internet macht eben noch keine funktionierende Europäische Union. Und dabei haben die EU-Gegner uns gerade eben mal vorgemacht, wie leicht es sein kann, unser Zusammenleben selbst zu bestimmen.

Und warum ist das so? Weil alles neu ist, alles einzigartig und beispiellos. Die EU ist dermaßen frisch, dass alles passieren kann. Sogar, dass ein Mitglied einfach mal wieder austritt.

Nun können wir dem alten weißen Mann, der das, was wir wollen, alles gar nicht will, weiter mit Unverständnis begegnen, uns über ihn erheben und den Kopf schütteln, oder wir sehen endlich mal, dass es ihn gibt, dass er durchstartet, und verstehen, warum er so wütend ist.

Den immer geltenden Vorwurf, die Europäische Union und das Zusammenwachsen der Kulturen sei ein Eliteprojekt, an das nur die Idealisten glauben, reproduzieren wir artig. Denn am herrlich süßem Geschmack der Weltoffenheit können und wollen nun mal nicht alle knabbern. Andere wollen einfach, dass alles so bleibt wie es ist und nicht mehr, als dass es ihnen gut geht. Und auch sie sollen sich in der Gemeinschaft wiederfinden können. Unity in diversity eben.

Der Brexit war ein Schock, ein Aggressor, ein Symbol. Jetzt müssen wir ihn zu einem Weckruf machen. Let's go, Internet!

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