Brexit-Drama London hält Verhandlungen mit der EU für aussichtslos

London · Die britische Regierung glaubt offenbar nicht mehr daran, dass die Gespräche mit der EU über ein Austrittsabkommen Erfolg haben könnten. Knackpunkt bleibt die Nordirland-Frage.

 Ein Anti-Brexit-Demonstrant protestiert am Dienstag in London.

Ein Anti-Brexit-Demonstrant protestiert am Dienstag in London.

Foto: AP/Kirsty Wigglesworth

Die britische Regierung rechnet einem Bericht zufolge nicht mehr mit einem Erfolg bei den Gesprächen über ein EU-Austrittsabkommen. Das geht aus einer Mitteilung hervor, die der britische Sender Sky News am Dienstag aus Regierungskreisen erhalten haben will - und deren Echtheit der Deutschen Presse-Agentur vom Regierungssitz Downing Street bestätigt wurde.

Die Mitteilung nimmt laut Sky News Bezug auf ein Telefonat von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Premierminister Boris Johnson am Morgen. In der Mitteilung heißt es, die EU habe eine neue Position bezogen. Merkel habe deutlich gemacht, dass ein Abkommen „äußerst unwahrscheinlich“ sei und dass Großbritannien die Staatengemeinschaft nur verlassen könne, wenn Nordirland dauerhaft in der Europäischen Zollunion und dem Binnenmarkt verbleibe.

„Wenn das eine neue, etablierte Position ist, dann bedeutet das, dass ein Abkommen prinzipiell unmöglich ist, nicht nur jetzt, sondern immer“, hieß es in der Mitteilung aus London laut Sky News. Auch klar geworden sei, dass die EU „willens“ sei, das Karfreitagsabkommen zu torpedieren. Mit dem Friedensschluss endete 1998 der jahrzehntelange blutige Bürgerkrieg in Nordirland.

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Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, bestätigte lediglich, dass das Telefonat stattgefunden hat. Zu den Inhalten äußerte er sich aber nicht. „Wie üblich berichten wir aus solchen vertraulichen Gesprächen nicht“, teilte er der dpa auf Anfrage mit.

Deutliche Worte fand dagegen EU-Ratspräsident Donald Tusk. Es gehe nicht um das Gewinnen eines „dummen Schwarze-Peter-Spiels“, schrieb Tusk am Dienstag auf Twitter an Johnson gerichtet. Es gehe um die Zukunft Europas und Großbritanniens, um die Sicherheit und die Interessen der Menschen. „Sie wollen keinen Deal, Sie wollen keine Fristverlängerung, Sie wollen den Austritt nicht widerrufen, quo vadis?(wie soll es weitergehen?)“, fragte Tusk.

Kritik an der Darstellung des Telefonats kam auch umgehend von der britischen Opposition. Der Brexit-Experte der Labour-Partei, Keir Starmer, twitterte: „Das ist ein weiterer zynischer Versuch der Regierung, die Verhandlungen zu sabotieren. Boris Johnson wird niemals die Verantwortung dafür übernehmen, dass er keinen glaubwürdigen Deal vorgelegt hat.“ Johnsons Strategie sei von Anfang an auf einen ungeregelten EU-Austritt ausgelegt gewesen.

Unterdessen wurde EU-Parlamentspräsident David Sassoli am Dienstag zu Gesprächen mit Johnson in London erwartet. Zuvor traf der Italiener mit Merkel in Berlin zusammen. Auch ein Gespräch zwischen Merkel und Tusk war geplant. In London tagt zudem das britische Unterhaus zum letzten Mal, bevor es einige Tage in Zwangspause geht.

Johnson hatte vorige Woche neue Vorschläge für ein geändertes Austrittsabkommen gemacht, die aber in der EU auf Widerstand treffen. Es geht um die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Im 2018 ausgehandelten Brexit-Vertrag gibt es die Übergangslösung mit einer Zollunion, den sogenannten Backstop. Den lehnt Johnson aber ab.

Über die Alternativvorschläge sollte am Dienstag auch in Brüssel erneut verhandelt. Gespräche am Montag hatten keine erkennbaren Fortschritte gebracht. Ein EU-Vertreter erklärte nur, man habe einige Klarstellungen von britischer Seite bekommen. Beide Seiten stehen unter Druck, noch vor dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober einen Kompromiss anzubahnen. Wie eine allseits akzeptable Lösung aussehen könnte, ist aber offen. Gelingt nicht rechtzeitig ein Durchbruch, dürfte die Debatte über einen weiteren Aufschub des Brexits Fahrt gewinnen.

Das britische Parlament hatte gegen Johnsons Willen ein Gesetz verabschiedet, das die Regierung in diesem Fall am 19. Oktober zu einem Antrag auf Verlängerung der Brexit-Frist zwingt. Johnson betont allerdings trotzdem, dass er sein Land ohne weitere Verzögerung zum 31. Oktober aus der EU herausführt - auch ohne Austrittsvertrag. Wie das gehen soll, ist aber unklar.

Mit Vertrag würde zunächst bis Ende 2020 eine Übergangsphase gelten, in der sich praktisch nichts ändert. Ohne Abkommen entfiele diese Schonfrist sowie alle Vereinbarungen zur irischen Grenze, zum Schutz der Rechte von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich und zu weiteren finanziellen Leistungen Londons an die EU.

Von heute auf morgen müssten Zölle und Kontrollen an den Grenzen zu Großbritannien eingeführt werden, Lieferketten würden unterbrochen und Millionen Bürger in Unsicherheit gestürzt. Die Wirtschaft befürchtet schlimme Folgen für die Konjunktur.

(jco/dpa)
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