Wegen Corona per Video Nach drei Monaten Pause wieder Brexit-Verhandlungen

London/Brüssel · Wegen des Coronavirus mussten die Chefunterhändler beider Seiten in Quarantäne. Nun reden sie wieder. Aber die Differenzen sind groß, und die Frist ist knapp.

 Michael Barnier ist der EU-Chefunterhändler in Sachen Brexit.

Michael Barnier ist der EU-Chefunterhändler in Sachen Brexit.

Foto: dpa/Francisco Seco

Fast drei Monate nach dem Brexit versuchen Großbritannien und die EU wieder, endlich Fortschritte auf dem Weg zu einem Handelsabkommen zu erreichen. Die Zeit drängt: David Frost, EU-Berater von Premierminister Boris Johnson und sein Verhandlungsführer bei den Brexit-Gesprächen, und der EU-Chefunterhändler Michel Barnier waren an Covid-19 erkrankt, mussten pausieren. Am Montag ging es wieder los – per Video. 

Der Europaminister der schottischen Regionalregierung, Mike Russell, verlangte, dass „die britische Regierung heute die EU um die maximale zweijährige Verlängerung der Übergangsphase bitten soll“. Während der Übergangsperiode bleibt das Königreich de facto Mitglied des Binnenmarktes ohne Stimmrechte. Eine Verlängerung ist möglich, wenn das Gesuch bis 30. Juni gestellt wird. Großbritannien stecke jetzt mitten in der Corona-Krise, argumentierte Russell, und der Nutzen „einer koordinierten europäischen Aktion war niemals klarer“. Die schottische Wirtschaft könne sich Covid-19 plus die wachsende Wahrscheinlichkeit eines No-Deal-Brexit oder harten Brexit in neun Monaten nicht leisten.

In einer Befragung von mehr als 2000 Bürgern stimmten 66 Prozent zu, „dass die Regierung 100 Prozent ihrer Energie auf die Bewältigung des Coronavirus für den Rest des Jahres konzentrieren soll“. Nur 34 Prozent waren der Ansicht, dass man daneben die Ausarbeitung eines Freihandelsabkommens mit der EU betreiben sollte. Die Zahlen beeindrucken Boris Johnson wohl wenig. Der Premierminister ist ins Amt gekommen mit einer kompromisslosen Brexit-Botschaft. Alle Signale aus der Downing Street deuten darauf hin, dass für ihn eine Verlängerung nicht infrage kommt. Johnson setzt darauf, dass bis zum Jahresende ein Freihandelsabkommen steht. Doch das ist wenig wahrscheinlich.

Und es gibt diverse Baustellen bei den Verhandlungen. London wehrt sich gegen eine juristische Aufsicht durch den Europäischen Gerichtshof, will keine gemeinsamen Wettbewerbsbedingungen beim Umweltschutz, bei Arbeitnehmerrechten oder bei Staatsbeihilfen übernehmen müssen und setzt eine Einigung bei der Frage des Zugangs zu britischen Fischereigründen als Verhandlungshebel ein. Insider glauben nicht an ein Abkommen binnen acht Monaten.

Damit wächst die Gefahr eines ungeregelten Austritts Anfang des Jahres. Käme das so, müssten die EU und Großbritannien ihren Handel nach Regeln der Welthandelsorganisation aufstellen, was zu Zöllen, Quoten und anderen Schranken und wirtschaftlichen Verwerfungen führen würde. Und das alles, während die durch die Corona-Krise getroffenen Maßnahmen der Wirtschaft jetzt schon zusetzen. Laut Schätzung des Finanzamts wird die britische Wirtschaft im zweiten Quartal um 35 Prozent schrumpfen. Es wird vermutet, dass Boris Johnson dies taktisch nutzen und den Schaden eines ungeregelten Austritts durch die Corona-Verwerfungen kaschieren will.

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