Bundespräsident soll vorerst nicht unterschreiben Beim Rettungsschirm droht ein Hängepartie

Erst die Einigung, jetzt die Hängepartei? Der Euro-Rettungsschirm ESM kann möglicherweise nicht rechtzeitig zum 1. Juli in Kraft treten. Die Karlsruher Richter bitten Bundespräsident Joachim Gauck dazu, das Ende Juni in Bundestag und Bundesrat zur Verabschiedung anstehende Gesetz vorerst nicht zu unterschreiben.

 Abschied mit Hindernissen: Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier nach den Gesprächen im Kanzleramt.

Abschied mit Hindernissen: Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier nach den Gesprächen im Kanzleramt.

Foto: dpa, Wolfgang Kumm

Grund für die Bitte sind angekündigte Verfassungsklagen gegen die Maßnahmender Linken und der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Es wird erwartet, dass sie zugleich Eilanträge gegen die Maßnahmen stellen.

"Es entspricht guter verfassungsrechtlicher Praxis, dass sich das Gericht in solchen Fällen mit der Bitte um Aufschub an den Bundespräsidenten wendet", sagte Gerichtssprecherin Judith Blohm am Donnerstag. "Der Zweite Senat geht davon aus, dass der Bundespräsident einer solchen Bitte nachkommen würde."

"Mehr Demokratie"

Zusammen mit dem Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart bereitet die Juristin Däubler-Gmelin als Prozessbevollmächtigte der Bürgerinitiative "Mehr Demokratie" eine Verfassungsklage vor, um die Verträge zu stoppen.

Die Linke hatte bereits angekündigt, bei einer Ratifizierung Karlsruhe anzurufen. Sie will die Regelungen stoppen, weil sie ihrer Meinung nach im "Hauruckverfahren" durch die beiden Parlamentskammern gebracht werden sollen.

Die jetzt zu erwartende Verzögerung stellt nach Ansicht des Justiziars der Linken, Wolfgang Neskovic, aber keine Beeinträchtigung der Hilfe für die Krisenländer dar. Denn bislang stünden noch Gelder aus dem vorläufigen Rettungsfonds EFSF zur Verfügung. Für die Linke geht es bei der Klage auch um die Unabhängigkeit der Politik gegenüber den Finanzmärkten. "Die Frage ist: Schaffen wir uns eine marktkonforme Demokratie oder einen demokratiekonformen Markt", sagte Neskovic.

Auch in zurückliegenden Fällen hatte das Gericht über Eilanträge gegen die Griechenlandhilfe und den Rettungsschirm zügig entschieden. Die Sprecherin wörtlich: "Wir gehen davon aus, dass der Bundespräsident wie in der Vergangenheit auch dieser Bitte nachkommen wird und das Gericht so genügend Zeit zur Prüfung der Eilanträge hat."

Vergemeinschaftung von Schulden?

Nach monatelangem Streit hatten sich Koalition und Opposition in Berlin auf ein Kompromisspaket für den europäischen Fiskalpakt geeinigt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verständigte sich am Donnerstag mit den Spitzen von SPD und Grünen auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und zusätzliche Wachstumsimpulse.

Die Bundesregierung sichert in der Vereinbarung unter anderem zu, sie werde sich für die rasche Einführung einer Steuer auf Finanzmarktgeschäfte in Europa einsetzen. Die Einigung sieht auch Vereinbarungen für Wachstumsimpulse, zusätzliche Investitionen und Arbeitsplätze in Europa vor.

Da eine Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsländer für eine Finanztransaktionssteuer nicht erreichbar ist, will die Regierung beim EU-Gipfel Ende nächster Woche in Brüssel einen Antrag auf Einführung einer solchen Steuer mit weniger Ländern stellen. Dafür sind mindestens neun EU-Länder notwendig. Das Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene solle "möglichst bis Ende des Jahres 2012 abgeschlossen werden" können.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte Gauck dagegen trotz der drohenden Klagen auf, das Gesetz zu unterschreiben. Kauder sagte in der ARD: "Das Bundesverfassungsgericht wird sehr wohl abwägen, wie wichtig es ist, dass wir gerade im Hinblick auf die Beruhigung der Märkte jetzt zu Entscheidungen kommen." Bei Grünen und der Linkspartei sorgte er damit für Empörung. Aus der Unionsfraktion hieß es, man sehe keinen Anlass, den Zeitplan für die Verabschiedung von ESM und Fiskalpakt zu ändern. Man sei überzeugt, dass die geplanten Regelungen verfassungsgemäß seien.

Schäuble rügt Vorbehalte des Gerichts

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble rügte die Vorbehalte des Bundesverfassungsgerichts gegen eine rasche Unterzeichnung des ESM-Ratifikationsgesetzes. "Ich glaube nicht, dass es klug ist, wenn die Verfassungsorgane öffentlich miteinander kommunizieren, und ich glaube noch weniger, dass es klug ist, dass die Bundesregierung dazu Kommentare abgibt", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag vor einer Sitzung der Eurogruppe in Luxemburg.

Die SPD bezeichnete die drohende Verschiebung als schlechtes Signal. "Ich habe großen Respekt vor der Bitte des Bundesverfassungsgerichts und keine Zweifel, dass seiner solchen Bitte entsprochen wird", sagte Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. "In der Sache bedeutet dies, dass der ESM nicht wie geplant zum 1. Juli 2012 in Kraft treten kann", sagte Oppermann. Das sei angesichts der anhaltenden Turbulenzen in der Euro-Zone eine schlechte Nachricht. "Es erweist sich damit als schlimmer Fehler, dass die Bundesregierung die Ratifizierung des ESM so spät in Angriff genommen hat."

Rückzahlungen am 2012

Die Finanzminister der Eurozone kommen am Donnerstagnachmittag in Luxemburg zu einer Sitzung zusammen. Im Mittelpunkt der Beratungen stehen Finanzhilfen an das krisengeschüttelte Spanien sowie die Lage in Griechenland nach Bildung der neuen Regierung unter Antonis Samaras, die am Donnerstag vereidigt werden sollte.

Wie es aus Athen hieß, will Griechenland für eine Lockerung der harten Sparauflagen werben. Athen will angesichts des Niedergangs seiner Wirtschaft zwei Jahre mehr Zeit für die Umsetzung. Zudem soll die Rückzahlung der Hilfen statt 2015 erst 2017 beginnen.

Am Freitag wollen die Spitzen der vier größten Volkswirtschaften der Eurozone in Rom nach Lösungen für die Schuldenkrise und die Rettung Griechenlands suchen. Italiens Regierungschef Mario Monti hat Bundeskanzlerin Merkel, den neuen französischen Präsidenten François Hollande und den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy zu einem Vierer-Gipfel eingeladen.

(dpa/dapd/afp)
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