Aufsehen im EU-Parlament Deutsche und europäische Regeln – wo Bestechung beginnt

Analyse | Brüssel · Für das Ansehen des Europa-Parlamentes sind die Verdächtigungen gegen seine Vizepräsidentin Eva Kaili eine Katastrophe. Sie wurde am Dienstag ihres Amtes enthoben. Die Fragen bleiben indes: Was genau ist Bestechlichkeit und welche Vorkehrungen treffen das europäische und das deutsche Parlament dagegen?

Eva Kaili: Der Fall der Vizepräsidentin des EU-Parlaments
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Der tiefe Fall der Vizepräsidentin des EU-Parlaments

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Foto: dpa/Eric Vidal

Die Transparenzregeln sind peinlich genau und sollen auf diese Weise das Europäische Parlament vor Bestechung schützen. Davor also, dass sich das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten kaufen lässt. So kann die ganze Welt sehen, dass Vizepräsidentin Katarina Barley von der SPD ein Spiel des FC Köln gratis gucken konnte, Vizepräsidentin Nicole Beer von der FDP eine Opernpremiere in Salzburg.

Die griechische Vizepräsidentin Eva Kaili hat nach dieser Auflistung auf der Homepage des Parlamentes dagegen nichts getan, was mit irgendeiner Erwartung verbunden werden könnte. Keine Treffen, keine Geschenke, kein Katar. Die Taschen voller Geld tauchten erst am vergangenen Freitag auf, als die Fahnder die Frau festnahmen. In den verpflichtenden parlamentarischen Angaben fehlen sie. Damit ist der Kern des Problems beschrieben. Regeln nutzen nur, solange sich alle daran halten. Erst recht, wenn ihre Einhaltung kaum kontrolliert wird.

Vorgelagert ist zudem eine andere Frage: Wo fängt Bestechung an? Dass Barley vorwiegend Politik im sozialdemokratischen Interesse macht, Beer im liberalen Interesse, liegt auf der Hand. So haben es die Wähler gewollt und die Fraktionen in Brüssel beim nationalen Votum entsprechend stark oder schwach gemacht. Dass Barley eine Einladung eines Fußballclubs annimmt, dürfte sie noch nicht befangen machen, genauso wenig wie Beer, die auf Einladung der österreichischen Regierung an einem Kongress über Frauen in der Politik teilnahm.

Die Beispiele illustrieren, dass die EU bei ihrer Transparenz selbst kleinste Anhaltspunkte für Empfänglichkeit offenlegen will. Geschenke mit einem Wert von über 150 Euro dürfen Abgeordnete nicht einmal abnehmen, müssen sie nach einer Rückkehr aus einem anderen Land sogar abgeben. Und wenn sich einzelne Abgeordnete in eine Fachmaterie besonders tief einarbeiten, weil sie für die Meinungsbildung des Parlamentes hier die Federführung übernehmen, müssen sie veröffentlichen, mit welchen Lobbyisten sie sich getroffen haben.

Wer Vorteile erhält und dafür entsprechend votiert, ist bestochen worden. Aber wie sieht es aus, wenn ein Abgeordneter von seiner Heimatpartei den Hinweis erhält, vielleicht nicht mehr für die nächste Wahl aufgestellt zu werden, sollte er nicht für oder gegen x oder y stimmen? Wenn sich dann herausstellt, dass Interessen einer Firma dahinterstehen, die entsprechend mit Wahlkampfunterstützung für die betreffende Partei gelockt hat, liegt ein Bestechungsversuch auf der Hand.

Dann scheint das auch eine Sache für den Staatsanwalt zu sein. Der wird jedoch auch den Gesetzestext zu beachten haben, wonach eine gesetzlich zulässige Parteispende zunächst einmal keinen ungerechtfertigten Vorteil darstellt. Wo also Geld von A nach B fließt, ist nicht automatisch Bestechung im Spiel. Motive und Handlungen müssen sehr genau ermittelt werden.

Die am Dienstag vom EU-Parlament fast einstimmig ihres Amtes als Vizepräsidentin enthobene griechische Sozialistin Kaili lässt ihren Anwalt jedenfalls sagen, dass sie sich unschuldig fühle, weil sie mit Geldern aus Katar „nichts“ zu tun habe. Sie habe sogar „in ihrem Leben keine kommerziellen Handlungen“ unternommen. Das konnte das griechische Publikum bereits anders lesen.

Denn seit Kaili in Brüssel Karriere machte, vergrößerte sich ihr Vermögen auf schier wundersame Weise. Inzwischen war der 44-Jährigen klar, dass sie sich mit ihrer Partei derart überworfen hatte, dass sie sich eine erneute Nominierung 2024 abschminken kann. Wenn demnächst ein Untersuchungsausschuss den Motiven nachspürt, könnte er hier fündig werden.

Bestechung hat auch in Deutschland schon den Gang der Geschichte verändert. Als Unions-Oppositionsführer Rainer Barzel 1972 mit einem Konstruktiven Misstrauensvotum Kanzler werden wollte, fehlten ihm zwei Stimmen.

Nach der Wende wurde klar, dass die Stasi versucht hatte, Willy Brandt mit Stimmenkauf im Amt zu halten. Weil damals auch schon andere Abgeordnete davon berichteten, Gegenleistungen angeboten bekommen zu haben, gab sich der Bundestag 1972 Verhaltensregeln. Strafbar wurde Abgeordnetenbestechung aber erst 1994. Und jeder Abgeordnete bekommt nach seiner Wahl erst einmal einen dicken Leitfaden mit Verhaltensregeln.

Lücken bleiben. Sie haben mit der Freiheit des Abgeordnetenmandats zu tun - und damit, dass sich Politiker aus bestimmten Berufen auch während ihrer Zeit im Parlament um ihren Betrieb kümmern dürfen, um danach nicht neu anfangen zu müssen.

Schließlich stärkt das ihre Unabhängigkeit. Sie bietet zugleich aber auch Stoff für Verdacht, wenn sich etwa eine Firma Rat bei einem Anwalt sucht, der zugleich als Abgeordneter im Parlament über Regeln befindet, die diese Firma berühren. Dann muss er seine mögliche Befangenheit anzeigen. Aber tut er es auch?

Ein weiteres Graufeld ist damit verbunden, dass sich das Verbot an „Handlungen“ orientiert, die Bestochene im Interesse des Bestechenden vornehmen. Ist also eine Bestechung schon vollendet, wenn im Europa-Parlament in einer Debatte eine Politikerin auf positive Entwicklungen im Arbeitsrecht von Katar hinweist?

Oder erst, wenn sie für Visa-Erleichterungen zugunsten Katars entscheidet - und sich hinterher herausstellt, dass sie Geld oder andere Vorteile aus Katar erhalten hat? Die Haftbefehle von Brüssel hat die Generalstaatsanwaltschaft jedenfalls breiter formuliert mit „bandenmäßiger Korruption und Geldwäsche“.

Die Debatte über Konsequenzen aus den Anschuldigungen gegen Kaili und ihr Umfeld hat gerade erst begonnen. Es zeichnet sich ab, dass der politische Druck auf Nichtregierungsorganisationen wachsen wird, selbst auch Transparenz über die Herkunft ihrer Gelder herzustellen.

 Ein 500-Euro-Schein wechselt den Besitzer. Wo fängt Bestechung an?

Ein 500-Euro-Schein wechselt den Besitzer. Wo fängt Bestechung an?

Foto: dpa/Peter Steffen

Zudem weist der Grünen-Europa-Abgeordnete Daniel Freund als Chef eines Anti-Korruptions-Arbeitskreises in Brüssel darauf hin, dass die Kontrolle gestärkt werden müsse. Eine unabhängige Ethikbehörde mit erweiterten Prüf- und Durchgriffsrechten hält er für sinnvoll. Zudem sollten Abgeordnete zu Beginn und zum Ende einer Wahlperiode stets ihre Vermögensverhältnisse detailliert offenlegen müssen.

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