Wachsender Druck Frankreichs in der EU Atomkraft? Mais oui!
Nach der Taxonomie zugunsten von Atomenergie ist nun die Erneuerbare-Energien-Richtlinie im französischen Fokus, um die Kernkraft als klimafreundlich nach vorne zu bekommen. Wie Frankreich in Brüssel immer mehr EU-Partner gegen den deutschen Ausstiegskurs in Stellung bringt.
In Deutschland lautet die Antwort auf die Frage nach Atomkraft? seit zwölf Jahren auch offiziell „Nein danke“. Permanent sinkt die Zahl der Meiler. Von einst 19 auf sechs, nun drei und in einem Monat auf Null. Doch deutsche Diplomaten stoßen in Brüssel auf eine andere Dynamik. Waren es vor zwei Jahren noch acht EU-Staaten, die in einem Brief an die EU-Kommission für die Kernkraft als klimaschützende Energieerzeugung warben, unterschrieben vor einem Monat bereits neun Länder ein ähnliches Schreiben. Im Vorfeld intensiver Verhandlungen zu neuen einschlägigen EU-Vorgaben haben sich nun bereits elf Länder zu einer Atom-Allianz zusammengefunden. Treibende Kraft dahinter ist Frankreich. Je lauter Deutschland „Nein danke“ sagt, desto schriller wird das französische „Mais oui!“ dagegengehalten. Europaweit will Paris „Kernkraft - na klar“ zur Devise gegen Klimakollaps und Energienotstand machen.
Dass mehr als die Hälfte der 56 französischen Kernkraftwerke vergangenen Sommer vom Netz musste, spielt dabei kaum eine Rolle. Die Begründung seinerzeit lief auf eine Mischung verschiedener Ursachen hinaus. Pandemiebedingt hätte es bei den üblichen Wartungen einen Stau gegeben. Nähere Untersuchungen hätten bei einer bestimmten Baureihe schnellere Probleme bei Schweißnähten gezeigt. Und wegen des extrem niedrigen Wasserstands vieler Flüsse seien Probleme bei den flusswassergestützten Kühlkreislaufen befürchtet worden. Zumindest das fehlende Wasser wird den französischen Meilern in den nächsten Monaten erneut zu schaffen machen.
Bei der Sicherung der Kernenergie versteht Frankreich allerdings kein Pardon. So oft Brennstäbe aus Russland in Vorgesprächen in Brüssel für ein neues Sanktionspaket vorgeschlagen waren, flog der Punkt schnell wieder von der Liste. Vor allem die östlichen EU-Staaten sind aus alten Sowjetzeiten noch mit Meilern Moskauer Bauart ausgestattet - und entsprechend abhängig. Ungarn lässt sich vom russischen Atomkonzern Rosatom sogar zwei neue Werke bauen.
Im Herbst, als die EU verzweifelte Schritte plante, um einem Gas- und Strommangel im Winter angesichts der abgesperrten russischen Gaspipelines zu entgehen, hatte Frankreich leichtes Spiel, gegen Deutschlands Atomausstieg Stimmung zu machen. Eine gemeinsame Erklärung Deutschlands und Frankreichs wurde als mühsame Gesichtswahrung angesehen, wonach beide Seiten bekundeten „die technologischen Entscheidungen jedes Landes im Hinblick auf den Strommix zu respektieren“. Doch kurz danach bezeichnete die französische Energieministerin Agnes Pannier-Runacher die Positionierung Deutschlands gegen die Atomenergie in einer Sitzung in Brüssel als „heuchlerisch“.
Auch nach einer ähnlichen Erklärung beim deutsch-französischen Gipfel im Januar blieb Frankreich in der Offensive. Getragen wird das forsche Vorgehen von wachsendem Rückhalt. Sogar Belgien, das wie Deutschland den Ausstieg aus der Kernkraft längst beschlossen hatte, machte inzwischen einen Rückzieher. Hinter der neu geformten Allianz versammeln sich die Niederlande, Polen, Finnland, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Slowenien und die Slowakei hinter Frankreich und dem Versprechen, „neue gemeinsame Projekte“ neben den schon existierenden Atomkraftwerken zu fördern.
Wie sehr die EU-Kommission dem Einfluss Frankreichs folgt, war in der Silvesternacht 2021 zu spüren, als sie vorschlug, neben modernen Gaskraftwerken auch die Atomenergieerzeugung mit dem grünen Gütesiegel für umweltverträgliche Investitionen zu versehen. Und wie weit der Einfluss Frankreichs auf die anderen europäischen Organe reicht, war in den folgenden Monaten zu besichtigen, als sowohl im Rat als auch im Parlament keine ausreichenden Stimmenzahlen zur Blockade der Atom-Empfehlung zustande kam.
War dieses Kapitel noch auf unverbindliche Orientierungsmuster für Investoren bezogen, geht es jetzt ans Eingemachte der Klimaschutzgesetzgebung. In den laufenden Verhandlungen über Novellen zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie will Frankreich in den sogenannten RED-3-Bezügen zur Wasserstofferzeugung eine „Diskriminierung der Kernenergie“ verhindern. Wer also die energieintensive Produktion von Wasserstoff mit Hilfe von Atomstrom vornimmt, soll das Ergebnis als „grünen Wasserstoff“ verkaufen können. Wieder ist Frankreich mehrgleisig unterwegs. Denn außer dem Druck auf Kommission und Rat hat der liberale französische Politiker Christophe Grudler auch im Parlament ein Netzwerk etabliert, um die „Zukunft der Kernenergie in Europa“ fraktionsübergreifend zu unterstützen.
Doch Chefverhandler Markus Pieper hat zu Beginn der Verhandlungen erst einmal ein Stoppschild herausgeholt. „Grüner Wasserstoff ist aus Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse“, sagte der CDU-Europa-Abgeordnete unserer Redaktion. „Eine Einstufung der Kernkraft als Grundlage für grünen Wasserstoff wird am Widerstand des Europa-Parlaments scheitern“, lautet die Voraussage des einflussreichen EVP-Politikers. Allenfalls hält er ein Label als „kohlenstoffarmen Wasserstoff für möglich, Dann stehe die Kernkraft in einer Reihe mit blauem Wasserstoff aus Erdgas mit positivem CO2-Effekt, also Wasserstoff, bei dessen gasgestützter Produktion Kohlendioxid abgeschieden und gespeichert wurde.