Vor dem Tsipras-Besuch Griechenland ist ein "Failed State“

Meinung | Berlin · Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras wird Kanzlerin Angela Merkel am Nachmittag in Berlin besuchen. Bei dem Treffen geht es vor allem um den Finanzbedarf und die Reformpolitik des von der Pleite bedrohten Landes. Doch kann Reformpolitik ohne funktionierende staatliche Einrichtungen funktionieren?

Trotz aller verbalen Entgleisungen und gegenseitigen Drohungen gilt es in der Causa Griechenland nun endlich nüchtern und ehrlich zu analysieren, warum das Land aus seiner bedrohlichen Existenzkrise einfach nicht herausfindet. Problemlöserin Angela Merkel ist eine solche ehrliche Analyse noch am ehesten zuzutrauen.

Sie müsste mit der klaren Botschaft an alle steuernzahlenden Europäer beginnen, dass Griechenlands Wiederaufstieg ein sehr dickes Brett ist, das die Euro-Länder nur gemeinsam durchbohren können. Das Herauswachsen Griechenlands aus dieser Jahrhundertkrise wird nicht 2015, 2016 oder 2017 gelungen sein. Hier müssen die Europäer eher in Jahrzehnten denken, ähnlich wie Deutschland beim Aufbau Ost.

Griechenland ist eben nicht Portugal und nicht Irland. Diese Euro-Mitglieder, die den Neustart aus der Krise geschafft zu haben scheinen, verfügten vor der Krise anders als Griechenland über eine gut funktionierende Staatlichkeit. Griechenlands Hauptproblem sind die nicht funktionierenden und völlig intransparenten staatlichen Institutionen. Griechenland trägt viele Merkmale eines "failed state" — und das als langjähriges EU- und Euro-Mitglied.

Regierung, Behörden, Justizsystem - sie genossen noch nie das Vertrauen der Bevölkerung, was nicht nur mit der historisch gewachsenen Staatsfeindlichkeit im Land zu erklären ist. Doch wenn schon Einheimische ihrem Staat nicht vertrauen, dann werden ausländische Investoren dies erst recht nicht tun. Wo junge Unternehmer aufgeben müssen, weil sie am Gestrüpp von Vorschriften, unklaren Zuständigkeiten und Korruption in den Behörden scheitern, kann die wirtschaftliche Erholung nicht gelingen.

Die griechische Regierung muss mit dem Neuaufbau glaubwürdiger staatlicher Strukturen stante pede beginnen. Bisher hatte keine Regierung diese Kraft, vielleicht hat sie Tsipras. Merkel muss den jungen Regierungschef darauf einschwören. Denn ohne funktionierende Institutionen werden weite Teile der Hilfsgelder aus Europa verbranntes Geld bleiben.

Auch über neue "Wachstumsprogramme" wird Merkel sicher mit Tsipras reden müssen. Die Depression im Land sitzt mittlerweile so tief, dass eine Wende ohne neue stimulierende Impulse von außen unmöglich geworden ist. Wenn private Investoren das Land meiden, muss der Staat ihnen mit Geld Anreize bieten. Dies könnte durch staatliche Investitionszulagen und mehr regionale Investitionszuschüsse gelingen, wie sie Deutschland beim Aufbau Ost einsetzt hat. Auch eine schlagkräftige griechische Förderbank, die zinsgünstige Kredite über einfache Wege an Jungunternehmer vergibt, lässt seit Jahren auf sich warten.

Sicher muss Tsipras mehr Steuern eintreiben und darf den Konsolidierungskurs in der Haushaltspolitik auf keinen Fall wieder verlassen. Die EU sollte dies dann durch die Finanzierung der "Wachstumsprogramme" flankieren.

(mar)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort