Plädoyer für effektive Hilfe Afrika ist Europas Schicksal

Düsseldorf · Gastbeitrag Es wird Zeit für einen EU-Afrika-Pakt auf Augenhöhe. Eine Art Marshall-Plan für den afrikanischen Kontinent, der Wirtschaftswachstum bringt, Migration abmildert und eine echte Chance für Afrika bedeutet.

 Günter Nooke (rechts, Archivbild).

Günter Nooke (rechts, Archivbild).

Foto: Ilgner Detlef (ilg)/Ilgner,Detlef (ilg)

Bei allem Streit in der Europäischen Union besteht Einigkeit bei der Frage, wie Europa und Afrika in Zukunft zusammenarbeiten sollen: Den Hilfemodus und die klassische Entwicklungszusammenarbeit überwinden und auf private Investitionen und Wirtschaftswachstum setzen! Die EU und afrikanische Partner müssen daraus ein gemeinsames „Projekt“ oder – wie man heute eher formuliert – einen echten Deal machen.

Das Schicksal Europas entscheidet sich in Afrika. Entweder können wir gemeinsam mit Afrika Migration durch Wirtschaftswachstum steuern, oder es kommt zu massenhafter Einwanderung nach Europa, legal und illegal. Für Letzteres gibt es aber in keinem Mitgliedsstaat der EU eine Mehrheit. Denn wir reden nicht über 40 gerettete Bootsflüchtlinge, sondern über hundert Millionen Menschen, die sich in den nächsten zehn Jahren als Wirtschaftsmigranten aus Afrika auf die Suche nach einem besseren Leben auf den Weg nach Europa machen werden.

Es sei denn, sie finden eine angemessene, gut bezahlte Arbeit in ihrem eigenen Land. Es sind die besser Ausgebildeten, die sich die Schlepper leisten können, und die das höchste Potenzial versprechen, um mit Geldüberweisungen aus Köln oder Lyon ihre Familien zu Hause zu ernähren. Jene Männer und Frauen wollen weder ihr afrikanisches Zuhause verlassen noch wollen sie durch fremde Hilfe überleben. Sie wollen, wie wir auch, ihr Leben selbst gestalten. Doch diese Chance besteht für die vielen Millionen Jobsucherinnen und Jobsucher nicht. Weder in ihren Heimatdörfern, noch in den großen Städten und – obwohl der Großteil der Migration innerhalb Afrikas stattfindet – nicht einmal in afrikanischen Nachbarländern. Das muss sich ändern! Es ist unser europäisches Interesse, dass es Afrika gut geht, dass es mit Afrika gut geht. Aber jede verantwortliche afrikanische Regierung muss das auch wollen. Damit ist zuerst wirtschaftliche Entwicklung gemeint, die auf Wertschöpfung auf dem Kontinent basiert. Dafür werden die aktiven, gebildeten Menschen in ihren Ländern gebraucht.

Wenn Europa Probleme mit hundert Millionen Migranten bekommen könnte, dann reicht es nicht, Lösungen  für Hunderttausend anzubieten. Schon deshalb sind Entwicklungshilfe und klassische Entwicklungszusammenarbeit diesem Problem nicht gewachsen. Wir müssen stattdessen in großem Maßstab auf private Investitionen und endogenes Wirtschaftswachstum setzen.

Das ist gar nicht so neu und vieles in diese Richtung wurde vom Entwicklungsministerium auf den Weg gebracht. Nur die Größenordnung stimmt nicht. Wir werden scheitern, wenn Europa nicht den Mut findet zu einer substanziellen Afrikapolitik. Und zwar jetzt. Ein Afrikakommissar, wie ihn Entwicklungsminister Gerd Müller seit langem fordert, ist ein Ausdruck dafür, dass sich etwas grundlegend ändern muss. Die Zeit dafür ist in den nächsten Monaten äußerst günstig. Europäischer Rat und die neue Kommission müssen Europas geopolitische Rolle in den neuen globalen Machtkämpfen definieren. Im Februar 2020 endet das sogenannte Cotonou-Abkommen, das im alten Kolonial-Setting die Zusammenarbeit der EU mit Subsahara-Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP) regelt. Darauf beruhen die Entwicklungskommission in Brüssel und der Europäische Entwicklungsfonds mit etwa 35 Milliarden Euro für sieben Jahre. Ein neues Abkommen darf keine Fortsetzung des alten sein, weil Europa in allen drei Regionen unterschiedliche Interessen hat.

Auch Afrika und vor allem die Afrikanische Union sind an einem Kontinent-zu-Kontinent-Vertrag und nicht an einer „Afrikasäule“ innerhalb der alten AKP-Struktur ohne die nordafrikanischen Staaten interessiert. Die Staaten Afrikas haben selbst eine Agenda 2063 mit der Idee der „Vereinigten Staaten von Afrika“ verabschiedet und als wichtigstes Projekt unlängst eine Afrikaweite Freihandelszone (AfCFTA) vorangetrieben. Mit diesem Markt von 1,3 Milliarden und in zwei Jahrzehnten von über zwei Milliarden Menschen kann ein enormes wirtschaftliches Entwicklungspotenzial verbunden sein.

Die EU muss ein Handels- und Investitionsabkommen mit Afrika verhandeln, das den Herausforderungen, vor denen beide Kontinente stehen, gerecht wird. Europa sollte dabei eine klare Ansage machen und diese mit konkreter Politik unterstreichen: Wir lassen nicht zu, dass Afrika durch andere Mächte wie China, Russland, den Islamismus oder auch die USA für ihre Zwecke instrumentalisiert wird. Wir wollen wirtschaftliches Wachstum erzwingen, indem wir gemeinsam mit afrikanischen Regierungen Bedingungen schaffen, die Privatinvestitionen in Wirtschaftssonderzonen, Entwicklungsgebieten oder Städten, letztendlich aber in möglichst vielen afrikanischen Ländern ermöglichen.

Das ist weniger eine Frage des Geldes, sondern vielmehr eine der Sicherheit und Absicherung. Europa sollte sich das etwas kosten lassen. Noch wichtiger aber ist der Mut, dabei unideologisch neue Wege zu gehen. Der wichtigste Punkt: Um die Mittel für Afrika zu verdoppeln und für Investitionen und nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Afrika bereitzustellen, sollte die EU beschließen, europäischen Unternehmen mindestens zehn Prozent der Strukturfondsmittel als Beihilfen für Investitionen in Afrika zur Verfügung zu stellen. Derzeit dürfen diese Gelder, in Summe etwa 350 Milliarden Euro, nur in den EU-Mitgliedsstaaten ausgegeben werden. Das wäre unbürokratisch, die Unternehmen sind seit langem damit vertraut und es würde die Finanzierung von Projekten in Afrika erleichtern. Es braucht nur den politischen Willen, einen größeren Schritt zu gehen und die Änderung eines Halbsatzes im Beihilferecht.

Ein weiteres Beispiel für einen echten Deal und eine Jahrhundertpartnerschaft könnte in der CO2-freien Produktion von Wasserstoff, Methan oder flüssigem Brennstoff aus Sonnen- und Windenergie in Afrika bestehen. Große Flächen und Standorte in Küstennähe sind vorhanden, genauso ein Teil der notwendigen Infrastruktur. Es lohnt sich zu rechnen, welches Angebot Europa Afrika machen kann, damit klimafreundliche LNG-Tanker von Afrika aus die ganze Welt mit synthetischen Kraftstoffen versorgen. Das würde auch die Klimadebatte neu beleben. Solche Investitionen schaffen Arbeitsplätze und Know-how-Transfer. Und es entstehen wirtschaftliche Abhängigkeiten, die zu dauerhafter Stabilität beitragen ohne hohe Militärausgaben.

Nicht nur ein umfassender, neuer EU-Afrikavertrag steht an, auch die mittelfristige Finanzplanung für die Jahre 2021 bis 2027 wird in Brüssel verhandelt. Deutschland wird im Juli 2020 für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Nach den Personaldiskussionen sollte Europa jetzt eine inhaltliche Debatte zur Afrikapolitik führen. Eine Einigung ist wahrscheinlich, wenn die Größe der Herausforderung richtig verstanden wird.

Günter Nooke ist Persönlicher Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Afrikabeauftragter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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