Abstimmung im EU-Parlament am Dienstag Von der Leyen wirbt mit neuen Zusagen um Unterstützung

Brüssel · Mehr Klimaschutz und mehr Parlamentsrechte - mit neuen Zusagen an die Fraktionen wirbt Ursula von der Leyen am Tag vor der geplanten Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission um Unterstützung.

In Schreiben an die europäischen Sozialdemokraten und Liberalen kündigte sie am Montag unter anderem einen neuen Vorstoß zur Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen an. Er soll bis 2030 eine Senkung der Emissionen um 55 Prozent ermöglichen und damit weit über die bisherigen Pläne hinausgehen.

Zudem sichert sie zu, für eine stärkere Rolle des Parlaments im EU-Gesetzgebungsprozess einzutreten. Ganz konkret erwähnt sie dabei auch die langjährige Forderung der Abgeordneten eines Initiativrechts bei Gesetzesprojekten. Werde eine Resolution, die einen Gesetzesentwurf von der Kommission fordert, von der Mehrheit des Parlaments angenommen, verpflichte sie sich, darauf mit einem Rechtsakt zu antworten, so von der Leyen. Das könnten dann zum Beispiel Verordnungen oder Richtlinien sein.

Außerdem werde sie die Kommissare anweisen, bei jedem Schritt der Gesetzgebung mit dem Parlament „Hand in Hand zusammenzuarbeiten“. Mit Blick auf sozialdemokratische Forderungen verspricht die CDU-Politikerin, die rechtlichen Voraussetzungen für eine EU-weite Durchsetzung fairer Mindestlöhne schaffen zu wollen.

Auf eine wesentliche Forderung der Liberalen-Fraktion Renew Europe geht von der Leyen in ihrem Antwortbrief an Fraktionschef Dacian Ciolos jedoch nicht ein: Die Liberalen hatten in der vergangenen Woche einen verbindlichen Mechanismus zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit samt Strafen verlangt. Von der Leyen spricht lediglich dem EU-Parlament eine „größere Rolle“ im Rechtsstaatlichkeitsprozess zu und verspricht eine schärfere Umsetzung von jüngst getroffenen Entscheidungen des EU-Gerichtshofs.

Die Herausforderungen, mit denen Europa konfrontiert sei, ließen sich nur in Angriff nehmen, wenn man sich geschlossen hinter die einander verbindenden Elemente stelle, schreibt von der Leyen in den Briefen, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. Diese seien die gemeinsamen Werte, aber auch das Bekenntnis, für eine fairere, tolerante und gleichberechtigtere Gesellschaft einzutreten.

Nach ihrer Nominierung durch die Staats- und Regierungschefs muss sich von der Leyen an diesem Dienstag im Europaparlament einer Abstimmung stellen. Sie ist bei sehr knappen Mehrheitsverhältnissen auf Stimmen aus beiden Gruppen angewiesen, will sie das mächtige EU-Amt erobern. Denn Grüne und Linke haben bereits ein Nein angekündigt.

Eine echte Zusage der Unterstützung hat von der Leyen bisher nur von der eigenen Parteienfamilie Europäische Volkspartei mit 182 Sitzen. Er gehe davon aus, dass es eine „klare Mehrheit“ für die CDU-Politikerin als Kommissionspräsidentin geben werde, sagte EVP-Fraktionschef Manfred Weber am Montag vor einer CSU-Vorstandssitzung in München. Weber betonte: „Europa braucht jetzt Handlungsfähigkeit und Stabilität.“ Über einen „Plan B“ wolle die EVP nicht diskutieren.

Wofür sich Ursula von der Leyen im Falle ihrer Wahl einsetzen will:

Klimapolitik

- Reduzierung der Treibhausgase bis 2030 um bis zu 55 Prozent im Vergleich zu 1990; derzeit sind lediglich 40 Prozent geplant

- Klimaneutralität bis spätestens 2050; das Ziel soll innerhalb der ersten 100 Tage nach ihrem Amtsantritt EU-weit festgeschrieben werden

- Start einer globalen Initiative für ambitionierte Klimaschutzziele

- Erweiterung des EU-Emissionshandels

- Einführung einer Kohlendioxidsteuer, die EU-Unternehmen vor Konkurrenz aus Ländern mit weniger ambitionierten Klimazielen schützt

- Einrichtung eines Fonds, der Wirtschaftszweige und Regionen bei notwendigen Übergangsprozessen unterstützt

- Gründung einer Europäischen Klimabank aus Teilen der Europäischen Investitionsbank (EIB)

- Vorlage eines Vorschlags für einen Investitionsplan für ein nachhaltiges Europa

Sozialpolitik

- Vorschlag für ein Instrument, das die Umsetzung fairer Mindestlöhne in jedem EU-Staat ermöglicht

- Förderung der EU-Garantie gegen Kinderarmut

- Einsatz für die Jugendgarantie gegen Jugendarbeitslosigkeit

- Erneuerung der EU-Richtlinie gegen Diskriminierung

- Vorlage eines Vorschlags, der über Transparenz eine gleiche Bezahlung von Männern und Frauen ermöglichen soll

- Einsatz für Frauenquoten in Führungsetagen von EU-Unternehmen

Asyl- und Migrationspolitik

- Neustart der festgefahrenen Verhandlungen mit einem Vorschlag für einen „Neuen Pakt für Migration und Asyl“

- Einsatz für ein Aufstocken der EU-Grenzschutztruppe auf 10 000 Grenzschützer bis 2024; derzeit ist 2027 das Zieldatum

Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik

- Vorlage eines Plans für eine europäische Arbeitslosen-Rückversicherung

- Einsatz für die Vollendung der Bankenunion inklusive einer Letztsicherung („Backstop“) für den einheitlichen Abwicklungsfonds

- Unterstützung des Budgetinstruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit

- Berücksichtigung der UN-Entwicklungsziele bei der Bewertung der EU-Haushalte

- Einsatz für das Projekt einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage

- Einsatz für eine gerechte Besteuerung von Technologieunternehmen

Digitales Europa

- Vorlage eines EU-Konzept zu menschlichen und ethischen Implikationen von künstlicher Intelligenz

- Einsatz für Investitionen in revolutionäre Forschung

Handelspolitik

- Garantie für eine Verankerung von nachhaltigen Entwicklungszielen in jedem neuen Handelsabkommen

- Ernennung eines Spitzenbeamten, der die Einhaltung von Handelsregeln überwacht und das Europaparlament unterrichtet

- Einführung eines Vetorechts des Parlaments gegen die vorläufige Anwendung von Handelsabkommen

Rechtsstaatlichkeit

- Unterstützung eines zusätzlichen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus und enge Zusammenarbeit mit nationalen Behörden

- Engere Einbeziehung des Europaparlaments in die Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit

- Unterstützung des Vorschlags, die Vergabe von EU-Mitteln an die Einhaltung von Rechtsstaatsstandards zu knüpfen

Bürgerbeteiligung

- Organisation einer zwei Jahre dauernden „Konferenz zur Zukunft Europas“

- Aufnahme und Umsetzung von Vorschlägen aus der Konferenz

Parlamentsbeteiligung / Entscheidungsprozesse

- Zusicherung, dass das Parlament künftig mit einer Mehrheitsentscheidung Gesetzesinitiativen anstoßen kann

- Verbesserung des Spitzenkandidatensystems für die Europawahl inklusive der Einführung länderübergreifender Kandidatenlisten

- Einsatz für den Abschied vom Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik sowie in den Bereichen Klima, Energie, Soziales und Steuern

Nachbarschaftspolitik

- Einsatz für den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien

- Bekenntnis zur europäischen Perspektive für den gesamten Westbalkan

Brexit

- Offenheit für eine weitere Verschiebung des Brexit-Datums, wenn es dafür gute Gründe gibt

EU-Kommission

- Aufstellung einer EU-Kommission, in der gleich viele Frauen wie Männer sitzen

- Geschlechtergleichgewicht auf allen Managementebenen bis zum Ende des Mandats

(felt/dpa)
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