EU vermisst Fortschritte in Türkei

Die Europäische Union fordert von der Türkei ein höheres Reformtempo auf dem Weg nach Europa. Die Gespräche über eine EU-Mitgliedschaft seien in einem "schwierigen Stadium". Ankara müsse "verstärkte Anstrengungen unternehmen, die EU-Beitrittskriterien zu erfüllen", heißt es im neuen Fortschritts-Bericht der Kommission, der am Dienstag vorgestellt wird. Darin beklagt die Brüsseler Exekutive vor allem Mängel beim Grundrechtsschutz.

"Die freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit müssen gestärkt werden – und zwar rechtlich wie in der Praxis", schreibt die Behörde in dem Papier, das unserer Zeitung vorliegt. Auch bei der Religionsfreiheit sowie bei Frauen- und Gewerkschaftsrechten drängt Brüssel auf "Fortschritte". Zudem habe "die demokratische Öffnung bisher nur sehr begrenzte Erfolge gebracht", stellt die EU-Kommission mit Bezug auf die Kurdenfrage fest.

Brüssel lobt die jüngste Verfassungsreform, die den Einfluss des Militärs zurückdrängt, als "Schritt in die richtige Richtung". Nun müsse aber die Umsetzung sichergestellt werden.

Die Beitritts-Gespräche mit der Türkei laufen unter anderem wegen der Zypern-Frage schleppend. Von 35 Kapiteln, die das Land abarbeiten muss, ist bisher nur eines abgeschlossen. Acht liegen seit 2006 auf Eis, weil die Türkei ihre Häfen nicht für Schiffe aus dem griechischen Teil der Insel öffnet. Frankreich blockierte drei weitere Bereiche. 2009 schließlich fror Brüssel auf Einspruch Zyperns weitere sechs ein. So kann Ankara nur an drei Kapiteln arbeiten.

Besorgt zeigt sich die Kommission über die außenpolitische Orientierung der Türkei Richtung Osten aus. Dies könne für die EU von Vorteil sein, solange es den Beitrittsprozess ergänze und "in Koordination mit der EU" verlaufe. Die jüngste Annäherung des Nato-Landes an Iran, Syrien oder Jordanien hat etliche EU-Partner ebenso irritiert wie die verbalen Ausfälle von Premier Recep Tayyip Erdogan gegen Israel. Die Türkei versuche, eine Vorherrschaft in der Region zu erringen, so die Befürchtung.

Aus Sicht der Kommission hingegen könnten die Türkei und die EU bei einem gemeinsamen Vorgehen ihr Gewicht in Nahost und im Südkaukasus erhöhen und die Sicherheit bei der Energieversorgung stärken. Letzteres bezieht sich vor allem auf die Nabucco-Pipeline durch die Türkei, die Europa unabhängiger von russischem Gas machen soll.

Brüssel bemüht sich in dem Fortschrittsbericht trotz aller Kritik merklich, Ankara auf dem Weg nach Europa zu halten. Im Land am Bosporus nimmt der Zuspruch für das "Modernisierungsprojekt" EU-Beitritt rapide ab. Nur noch jeder dritte Bürger ist Umfragen zufolge dafür. Die wirtschaftlichen Verheißungen relativieren sich, weil der Wachstumsmarkt seine Attraktivität nicht mehr nur dem angestrebten EU-Beitritt, sondern auch der regionalen Vernetzung verdankt.

(Rheinische Post)
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