Brüssel/Berlin EU-Kommissar drängt SPD zu Groko

Brüssel/Berlin · Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici bittet den Parteitag, den Weg für Koalitionsverhandlungen frei zu machen. Parteichef Schulz warnt vor einer Neuwahl, die NRW-SPD verlangt Nachbesserungen.

Vor dem SPD-Parteitag morgen in Bonn wächst der Druck auf die Gegner einer neuen großen Koalition. Groko-Befürworter warnten vor schwerwiegenden Folgen für Europa, Deutschland und die Sozialdemokratie, sollten die Delegierten Koalitionsverhandlungen ablehnen. So bat EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici um ein klares Ja. "Europa schaut auf euch und zählt auf euch", sagte er im Interview mit unserer Redaktion. Die Sozialdemokraten trügen eine doppelte Verantwortung: "Zum einen braucht Deutschland endlich eine stabile und handlungsfähige Regierung, was nach Stand der Dinge nur mit einer großen Koalition möglich ist. Und zum anderen braucht die EU diese Regierung, um die nötigen Reformen anzugehen."

Ausdrücklich lobte Moscovici das zwischen SPD und Union vereinbarte Sondierungspapier für seine europapolitischen Passagen: "Wenn ich das Sondierungsergebnis vergleiche mit dem, was aus den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen bekannt geworden ist, handelt es sich wirklich um einen großen Fortschritt." Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würdigte das Ergebnis. Die Verhandler hätten "echten Ehrgeiz für das europäische Projekt" gezeigt, sagte er bei einem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Paris.

SPD-Chef Martin Schulz warnte unterdessen vor den Gefahren einer Neuwahl, sollte er sich mit seiner Linie auf dem Parteitag nicht durchsetzen. Die SPD müsse mit einem schlechteren Ergebnis rechnen, sagte Schulz dem "Spiegel". Zudem müsse man dann mit einem Programm in den Wahlkampf ziehen, das großteils mit dem Sondierungsergebnis identisch sei.

Rund 40 SPD-Politiker aller Parteiflügel betonten in einem gemeinsamen Aufruf, die SPD habe in den Sondierungen konkrete Verbesserungen in der Arbeitsmarkt-, Gesundheits-, Renten-, Bildungs- und Europapolitik durchgesetzt. Sie solle daher selbstbewusst in Koalitionsverhandlungen eintreten.

Die hessische und die nordrhein-westfälische SPD dringen derweil auf Nachbesserungen des Sondierungsergebnisses in Koalitionsverhandlungen. Marc Herter, Fraktionsgeschäftsführer der SPD im NRW-Landtag, bestätigte, es gebe einen gemeinsamen Antrag der beiden Landesverbände. Konkret gehe es um die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen, die Angleichung der Honorarordnungen für gesetzlich und privat Krankenversicherte sowie eine Härtefallregelung für den Familiennachzug bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus.

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) sprach sich nachdrücklich für Verhandlungen aus. "Es sträubt sich alles in mir, Nein zu sagen zu einer Politik, die auch sehr deutlich sozialdemokratisch geprägt wäre", sagte er. SPD-Vize Ralf Stegner kündigte für den Fall eines erneuten schwarz-roten Bündnisses eine härtere Gangart an.

Für den potenziellen Koalitionspartner appellierte CDU-Vizechefin Julia Klöckner an die SPD, "am Ende das große Ganze im Blick" zu haben. Beide großen Parteien hätten Verluste bei der Wahl erlitten: "Sich in dieser Lage einer Regierung zu verweigern, hätte schlechte Auswirkungen auf Deutschland."

(RP)
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