Brüssel EU-Abgeordnete wollen nicht mehr pendeln

Brüssel · Eine Mehrheit der Parlamentarier wünscht sich ein Ende der monatlichen Reisen nach Straßburg.

Gerald Häfner hat Europas absurdes Reisetheater satt. Einmal im Monat packt der EU-Abgeordnete der Grünen alle wichtigen Unterlagen in Kisten und fährt ins mehr als 400 Kilometer entfernte Straßburg. Denn dort finden die Plenarsitzungen der EU-Volksvertretung statt, während die übrige Arbeit in Brüssel verrichtet wird. Rund 4000 Abgeordnete, Assistenten, Dolmetscher und Beamte gehen wie Häfner vier Tage auf Reisen. Die Pendelei verbrennt bis zu 204 Millionen Euro pro Jahr – das entspricht etwa zehn Prozent des Jahreshaushalts des Europäischen Parlaments. Ganz zu schweigen von bis zu 19 000 Tonnen Treibhausgas, die der Wanderzirkus verursacht.

Nun begehren die Abgeordneten dagegen auf. Mit 483 Ja- gegen 142 Nein-Stimmen nahmen sie gestern einen Bericht Häfners an, der eine kleine Revolution vorsieht. Die EU-Volksvertreter verlangen darin, selbst über ihren Arbeitsort entscheiden zu dürfen. "Das ist eine historische Zäsur", meint Häfner. Das klingt stark, dürfte aber vorerst folgenlos bleiben. Denn Frankreich ließ sich in einem typischen europäischen Kuhhandel in den EU-Verträgen zusichern, dass Europas Volksvertretung in Straßburg ihren Sitz hat und dort mindestens zwölfmal im Jahr tagen muss. Davon abrücken kann die EU nur durch eine Vertragsänderung. Die braucht jedoch die Zustimmung aller 28 EU-Regierungen – also auch aus Paris.

Bisher ist kein Kompensationsangebot in Sicht, das Frankreich zum Einlenken bewegen könnte. Das Europaparlament ist die einzige große EU-Institution auf französischem Boden. Allenfalls der Umzug einer ähnlich prestigeträchtigen und mächtigen Institution wie etwa der Europäischen Zentralbank (EZB) könnte Paris wohl den Verzicht auf die EU-Volksvertretung schmackhaft machen. Den Sitz der EZB will aber wiederum Deutschland auf jeden Fall in Frankfurt halten.

(RP)
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