Es gibt keine guten Schulden

Interview Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) kritisiert eine zu sehr über Geld definierte Sozialpolitik sowie präventives Schuldenmachen. Die Pastorin a.D. freut sich auf den Papst-Besuch im Kernland des Protestantismus und lobt katholische Stringenz.

Sie werden als Ministerpräsidentin im September in Erfurt, wo Luther ins Kloster eintrat, den Papst begrüßen. Was bewegt die ehemalige evangelische Pastorin?

Lieberknecht Ich empfinde den Besuch als großes Geschenk in meiner Amtszeit als Ministerpräsidentin und als ein historisches Ereignis. Zum ersten Mal in der fast 500-jährigen Geschichte seit der Reformation betritt ein Papst thüringischen Boden, er kommt ins Kernland des Protestantismus. Und dass an dem Ort, an dem Martin Luther zum Mönch geweiht wurde, die Begegnung Benedikts XVI. mit Vertretern der evangelischen Kirche stattfinden wird, ist etwas Großartiges. Immerhin: Luther wollte ja nicht die Spaltung der Kirche, sondern deren Erneuerung.

Was gefällt Ihnen als Protestantin an der Papstkirche?

Lieberknecht Mich beeindruckt an der katholischen Kirche das sinnlich Wahrnehmbare, zum Beispiel in der Liturgie. Auch das Zeremonielle, das Formvollendete für Augen, Ohren – für alle Sinne eben. So etwas spricht mich an. Was mir an der katholischen Kirche, besonders auch an unserem Papst . . .

. . . die Protestantin sagt "unser" Papst?

Lieberknecht (lacht) . . . ja, unser deutscher Papst. Was mich also an Benedikt fasziniert, ist seine Klarheit in der Dogmatik. Der Ökumene ist nämlich nicht mit watteweichen, überdeckenden Formeln gedient. Katholiken und Protestanten brauchen beide Klarheit in ihren Grundlagen, um auf diesen geistigen Grundlagen zueinander zu finden.

Wie kommt eine christliche Spitzenpolitikerin in einer Region Ostdeutschlands klar, die ja noch stärker als Gebiete im Westen von Konfessionslosigkeit geprägt ist?

Lieberknecht Für Politiker wie für Gemeindepfarrer gilt: Man muss die Menschen mögen. Ich muss also meine eigene christliche Basis als Politikerin übersetzen für diejenigen, die diese Basis nicht haben. Hier lebt schon die zweite oder dritte Generation von Menschen, die über Kirche und Bibel wenig wissen, zum Beispiel über Ostern.

Was tun Sie dagegen als christliche Politikerin?

Lieberknecht Ich versuche zum Beispiel, nicht religiös geprägte Menschen über den Grundgesetz-Artikel 1, der von der Menschenwürde handelt, zu erreichen. Ich kann Menschenwürde religiös, etwa mit christlicher Barmherzigkeit, begründen, aber auch weltlich, mit dem Hinweis etwa auf die Bedeutung von sozialer Teilhabe.

Manche nennen das "C" in den Unionsparteien einen Etikettenschwindel. Die Union hätte doch mit dem "C" einen Schlüssel in der Hand, um ihr christliches Profil zu schärfen, oder?

Lieberknecht Die aktuell wichtige Frage der Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik (PID) ist für mich untrennbar mit meinem christlichen Menschenbild verknüpft. Bei allem auch seelsorgerischen Verständnis für einzelne Schicksale steht für mich fest: Der Mensch hat nicht das Recht, über menschliches Leben zu verfügen. Ich würde, wenn ich im Bundestag über PID abstimmen müsste, definitiv mit Nein stimmen. Ein bisschen PID gibt es nicht, also bitte auch keinen Kompromiss an dieser Stelle. Die katholische Kirche ist in diesen Fragen übrigens viel stringenter als meine evangelische Kirche.

Waren die "C"-Parteien bei der Nutzung der Atomkraft jahrzehntelang auf dem falschen Dampfer?

Lieberknecht Es ist ja jahrzehntelang gut gegangen. Ich habe auch immer gedacht, das Restrisiko sei theoretisch. Japan hat gezeigt, dass wir diese Technologie im Krisenfall eben nicht beherrschen, stattdessen ohnmächtig der Katastrophe zusehen müssen. Japan ist für mich eine Zäsur. Wir müssen aussteigen aus der Atomenergienutzung, nicht blind, aber aussteigen müssen wir – zum Schutz der Schöpfung.

Was sagt die christliche Politikerin zum staatlichen Schuldenmachen? Gibt es "gute" Schulden?

Lieberknecht Schulden brauchen immer einem klaren Tilgungsplan. Politiker, die vermeintlich präventiv handeln und deshalb Schulden machen, belasten kommende Generationen, die sich nicht wehren können. Das ist unverantwortlich. Im Übrigen werden Sozial- und Bildungspolitik sowieso viel zu sehr über Geld definiert. Viel wichtiger für Bildung und Erziehung von Kindern ist die Zuwendung im Elternhaus; ist die Zeit, die Kinder mit ihren Eltern und Geschwistern verbringen. Mit Sozialstaats-Technik, mit immer größeren Sozialausgaben und Hartz-IV-Bildungspaketen wird man nicht dauerhaft die Probleme von Kindern in schwierigen Verhältnissen lösen.

Wie würden Sie als Erfurter Regierungschefin junge Leute beispielsweise aus dem Rheinland zum Studium nach Thüringen locken?

Lieberknecht Mit unseren Top-Hochschulen, ob in Erfurt, Ilmenau, Jena oder in Schmalkalden, beispielsweise mit seiner ganz neuen Ingenieur-Ausbildung. Nordhausen nicht zu vergessen und Weimar natürlich – eine Perle für Musikstudenten. 1991 hatten Thüringens Hochschulen 13 000 Studierende. Jetzt haben wir 53 000. Die Hälfte der Studierenden kommt bereits von außerhalb hierher; 30 Prozent der Studienanfänger stammen aus den westlichen Ländern. Und am meisten freue ich mich natürlich, wenn sie nach dem Studium auch hier bleiben.

(RP)
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