Analyse Sozialisierung – möglich, aber falsch

Düsseldorf · Analyse Vergesellschaftungen standen im „Ahlener Programm“ der CDU, Enteignungen erlaubt das Grundgesetz. Juristen streiten, ob sie gegen Wohnungsnot zulässig sind. Ökonomisch sind die Maßnahmen ein Bumerang.

Am Anfang war es nur eine kleine Gruppe mit radikalen Ideen, typisch Berlin, konnte man meinen. Doch mittlerweile hat das Bündnis „Deutsche Wohnen&Co. enteignen“ eine bundesweite Debatte ausgelöst. „Spekulanten enteignen“, „Wohnen ist Menschenrecht“ heißt es auf seinen Plakaten. Klar ist: Die Lage auf dem Wohnungsmarkt in vielen Großstädten ist ernst. Die Mieten steigen, bezahlbarer Wohnraum wird knapp, Eigentum für Familien fast unerschwinglich. Als Antwort fordert die Berliner Initiative nun, dass Unternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen im Bestand haben, vergesellschaftet werden, und beruft sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes.

Dort heißt es: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Lange führte dieser Artikel ein Schattendasein, bislang ist er nie angewendet worden. Dass er überhaupt in das Grundgesetz kam, ist aus der historischen Situation zu erklären. Großkonzerne hatten Nazi-Deutschland U-Boote, Panzer und Treibstoff für den Weltkrieg geliefert sowie Giftgas für die Vernichtungslager. Zugleich hatten es die Konzerne in der Weimarer Republik nicht vermocht, Wohlstand für alle zu erzeugen. Die Wirtschaftskrisen hatten den Boden für den Aufstieg der Nationalsozialisten mitbereitet.

Der Kapitalismus hatte in den Augen vieler versagt. Die SPD kämpfte für den Sozialismus. Markig-links fiel 1947 aber auch das „Ahlener Programm“ aus, das der Zonenausschuss der CDU beschloss: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen“, hieß es in der Präambel des Programms. Daher forderten die Christdemokraten eine „gemeinwirtschaftliche Ordnung“ für Deutschland sowie die Vergesellschaftung der Bergwerke und eisenschaffenden Industrie. Die CDU als Kronzeuge der Berliner Verstaatlicher?

Nein. Das „Ahlener Programm“ gilt heute als geschickter Schachzug von Konrad Adenauer, um die Vertreter des christlichen Sozialismus in seiner Partei einzubinden – wenigstens auf dem Papier sollte es Sozialismus geben. Schon 1949 wurde das „Ahlener Programm“ durch die „Düsseldorfer Leitsätze“ überwunden, die das Heil nicht im Sozialismus, sondern in der sozialen Marktwirtschaft sahen.

Doch die Chance, Konzernen notfalls mit Vergesellschaftung zu drohen, wollten sich die Autoren des Grundgesetzes erhalten, und so kam Artikel 15 hinein. Bisher wurde er nie angewendet. Aus Vorsicht schuf der Gesetzgeber nach der Finanzkrise 2009 lediglich ein Gesetz, das die Enteignung von Banken auch gegen den Willen der Eigentümer erlaubt – das sollte garantieren, dass der Staat die schwankende, sytemrelevante Immobilienbank Hypo Real Estate notfalls auch zwangsverstaatlichen kann.

Ganz anders Artikel 14, der vielfach genutzt wird. Einerseits garantiert der Artikel das Eigentum: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“ Andererseits erlaubt er aber auch die Enteignung: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“, heißt es in Satz drei. Der Unterschied zwischen Enteignung und Vergemeinschaftung besteht im Ziel: Bei der Vergemeinschaftung geht es darum, dass Unternehmen oder Bodenschätze in eine bestimmte Bewirtschaftungsform kommen: in Gemeineigentum. Bei der Enteignung dagegen geht es nur darum, dass der Staat oder ein Unternehmen ein Grundstück oder ein Haus bekommen, das einem für die Allgemeinheit wichtigem Projekt im Wege ist.

Artikel 14 wird immer wieder genutzt: wenn der Bund eine Autobahn baut; wenn ein privater Netzbetreiber eine Stromtrasse baut; und wenn ein Versorger einen Braunkohle-Tagebau betreibt. Drei Bedingungen müssen dafür erfüllt sein: die Enteignung dient dem Wohl der Allgemeinheit (wie dem Ausbau der Infrastruktur oder der Sicherung der Stromversorgung), sie erfolgt auf Basis eines Gesetzes, und der Eigentümer wird angemessen entschädigt.

Die Berliner Initiative, die nun in der Politik viele Fürsprecher findet, will erstmals Artikel 15 nutzen. Der Berliner Senat hat in einem Rechtsgutachten bereits klären lassen, ob das geht. Der Verwaltungsrechtler Reiner Geulen kommt zu dem Schluss, dass einer Anwendung grundsätzlich nichts im Wege steht. Allerdings muss die Politik prüfen, ob das Ziel, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, nicht auch auf anderem Wege und mit weniger Eingriffen erreicht werden kann.

Andere Juristen sehen das anders und halten Wohnimmobilien grundsätzlich nicht für vergesellschaftungsfähig. So meint der Berliner Jura-Professor Helge Sodan, dass Immobilien gar nicht sozialisierungsfähig seien. Zudem seien Enteignungen ein unverhältnismäßiger Eingriff, sagte Sodan im „Deutschlandfunk“. Denn es gebe weniger belastende Mittel: Warum solle man etwas vergesellschaften, das man erwerben könne? Als größtes Hindernis sieht Sodan, dass die Berliner Verfassung, auf die es hier ankäme, gar keine „Sozialisierungs-Vorschrift“ vorsähe. Sollten die Berliner Politiker dennoch ernst machen, dürfte der Fall am Ende vor dem Bundesverfassunsgericht landen.

Aus Sicht der Ordungspolitik ist die Sache dagegen klar: Enteignungen führen zum Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen. Sie verschrecken Investoren, statt sie zu ermutigen. Gegen hohe Mieten hilft mehr Wohnraum, also ein größeres Angebot, aber nicht die Knechtung der Anbieter. Ökonomisch sind Enteignungen ein Bumerang.

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