Berlin Endspurt im Berliner Wahlkampf

Berlin · Vollmundig war Grünen-Fraktionschefin Renate Künast als Spitzenkandidatin im Berliner Wahlkampf angetreten. Sie wollte Regierende Bürgermeisterin werden. Jetzt ist sie froh, wenn die Grünen am Sonntag nicht als dritte Kraft hinter SPD und CDU über die Ziellinie gehen.

Für die Grünen geht es kurz vor den Wahlen in Berlin um Schadensbegrenzung. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist der Konkurrenz leichtfüßig enteilt. Im Straßenwahlkampf hatte er meist nur eine Sorge: "Haben wir genug Autogrammkarten?"

Grünen-Frontfrau Renate Künast hat dagegn ihre Kapitulation schon vor dem Wahltag bekannt gegeben. Angetreten war sie als große Herausforderin. Sie wollte die erste Grünen-Chefin im Roten Rathaus werden. Im September 2010 bekam sie Zustimmungswerte von mehr als 30 Prozent, während Wowereit bei 20 Prozent dümpelte. Nun hat sich das Blatt gewendet.

Künast hat ihren Traum vom Amt der Regierenden Bürgermeisterin begraben. Nun geht es darum, selbst mit so wenig Schrammen wie möglich aus der Wahl hervorzugehen und zugleich den Grünen eine Regierungsbeteiligung zu sichern. Derzeit koaliert Wowereit mit den Linken in Berlin. Im TV-Duell bot Künast dem SPD-Mann an, dass die Grünen Juniorpartner in einer gemeinsamen Koalition werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Künast alles auf eine Karte gesetzt. Sie wollte die Macht in Berlin und wäre dafür auch eine Koalition mit der CDU eingegangen, was ihr von der linksalternativen Stammklientel der Grünen Kritik einbrachte. Offenbar haben die Grünen jene Wähler an die SPD und an die Piratenpartei verloren, denen die Grünen zu bürgerlich im Wahlkampf auftraten.

Wowereit und Künast haben im Wahlkampf ganz auf ihre eigene Person gesetzt. Wowereit hat das Stimmen gebracht, Künast offenbar Sympathien gekostet. Der SPD-Mann ist ein Menschenfänger. Wenn er mit einem Arm voller Rosen durch die Straßen läuft, dann bleiben vor allem Frauen jenseits der 50 stehen und lassen sich von Wowereit beschenken und herzen.

Die Bürger müssten eigentlich reichlich Fragen an den Mann haben, der seit zehn Jahren das Zepter in der Stadt führt: Warum explodieren die Mieten? Warum gelingt die Integration nicht? Muss Berlin eigentlich das größte Sozialamt Europas verwalten? Wowereit aber beherrscht die Kunst, jeden sofort in einen Small Talk zu verwickeln, ohne dabei oberflächlich zu wirken. Das zieht.

Bei Künast ist das umgekehrt. Der resoluten Grünen-Frau merkt man an, dass Wahlkampf tatsächlich Kampf ist. Der übereinstimmende Medientenor, dass Wowereit so galant und Künast so verbissen wirke, macht die Sache für sie noch schlimmer. Im Laufe des Wahlkampfs zollte sie ihrem Gegner, den sie offenbar unterschätzt hat, Respekt. Er sei ein charmanter Mann, sagte sie. "Bei mir muss man zweimal hinschauen, bis man es sieht."

Doch wenn die Grünen am Abend des 18. September mit der Analyse beginnen, warum sie diesen Wahlkampf so gründlich versemmelt haben, dann wird ihnen wahrscheinlich auch auffallen, dass sie keine Mission hatten. Seit dem Ausscheiden von Joschka Fischer aus der Politik haben die Grünen auf Bundes- und Landesebene stets konsequent Themenwahlkämpfe geführt. In Berlin aber haben sie sich verzettelt. Künast hat soziale Einrichtungen, Firmen, Geschäfte, Kindergärten und Altenheime besucht, sich jedes Bürgerproblem, das an sie herangetragen wurde, angehört. Ein großes Ziel, wohin sie die Metropole steuern will, hat sie nicht erkennen lassen. Und Wowereit, der Filou, hat gegen Künasts Fleiß einfach plakatieren lassen: "Berlin verstehen".

Künast hat zu Beginn des Wahlkampfs erklärt, dass sie ihren Job als Chefin der Bundestagsfraktion nur dann aufgibt, wenn sie auch Regierende wird. Nun sieht es danach aus, als bliebe Berlin für sie eine Episode. Wahrscheinlich wird sie die Sondierungsgespräche nach der Wahl noch begleiten und sich dann wieder in die Bundespolitik verabschieden. Doch sie wird mit Blessuren zurückkommen. Co-Fraktionschef Jürgen Trittin hat den Berliner Wahlkampf diskret genutzt, sich als Nummer eins der Grünen im Bundestag zu profilieren. Dennoch hat Künast die Chance, 2013 im Bundestagswahlkampf wieder eine entscheidende Rolle bei den Grünen zu spielen. Dann werden die Grünen voraussichtlich wieder ein Spitzenduo aus einer Frau und einem Mann aufstellen. Künasts Konkurrenz ist nicht groß.

Wowereit indes empfähle sich mit einem glänzenden Wahlsieg auch als Kanzlerkandidat für die SPD. Er gilt als Reserve des linken Parteiflügels, falls Peer Steinbrück an der SPD-Basis nicht vermittelbar sein sollte. Anders als Olaf Scholz in Hamburg, der deutlich gemacht hat, dass er nicht Kanzlerkandidat werden will, lässt Wowereit die Antwort auf diese Frage stets offen.

(RP)
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