Aachen Empörung über Menschenversuche

Aachen · Die Autoindustrie kommt beim Dieselstreit weiter in die Defensive: 25 Menschen inhalierten an der RWTH Aachen zu Testzwecken Stickstoffdioxid, in den USA wurde an Affen getestet. Die Bundeskanzlerin verurteilt diese Versuche.

Die Dieselkrise spitzt sich weiter zu. Zuerst kam heraus, dass eine Lobbyorganisation der Autoindustrie Affen in den USA stundenlang mit Dieselabgasen benebeln ließ, um diese Emissionen als doch nicht so gefährlich darzustellen.

Dann stellte sich heraus, dass 25 Menschen an der Aachener Universitätsklinik im Jahr 2013 gezielt Dieselabgas in einer relativ niedrigen Dosierung inhalierten. Auch diese Studie wurde von der deutschen Autoindustrie über ihren mittlerweile geschlossenen Ableger "Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor" (EUGT) unterstützt.

Die Bundesregierung verurteilte die Versuche scharf. "Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen und werfen viele kritische Fragen an diejenigen auf, die hinter diesen Tests standen", erklärte der Regierungssprecher und sprach ausdrücklich im Namen von Kanzlerin Angela Merkel. Daimler und BMW distanzierten sich von den Studien. Volkswagen gab zu, dass Mitarbeiter des Konzerns von den Tierversuchen in den USA gewusst hätten. VW-Chef Matthias Müller nannte die Versuche inakzeptabel: "Die damals von der EUGT in den USA praktizierten Methoden waren falsch, sie waren unethisch und abstoßend. Mit Interessensvertretung oder wissenschaftlicher Aufklärung hatte das nichts, gar nichts zu tun." Ihm tue es leid, dass Volkswagen als einer der Träger der EUGT an diesen Vorgängen beteiligt gewesen sei.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der als Vertreter des Landes im VW-Aufsichtsrat sitzt, verlangte Aufklärung. Er sprach von "alarmierenden Meldungen", dass solche Tests nicht nur an Affen, sondern auch an Menschen erwogen oder durchgeführt worden seien. Die Vorgänge seien "absurd und widerlich". Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch sagte: "Im Namen des gesamten Aufsichtsrats distanziere ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken." Die Vorgänge müssten "vorbehaltlos aufgeklärt werden".

Der Duisburger Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer bewertete beide Untersuchungen auf Nachfrage unserer Redaktion als "zynische und unsinnige Tests". Er sagte: "Die Richtwerte für die maximale Konzentration von Stickstoffdioxiden auf der Straße oder am Arbeitsplatz wurden ja nach intensiver Beratung mit Experten festgelegt. Wer entgegen solcher Erkenntnisse oberflächliche Scheinstudien organisiert, will nur die wahren Sachverhalte vernebeln."

Unter Druck kommt das Aachener Klinikum. Die Landesregierung forderte einen Bericht an. Die Grünen wollen im Landtag klären, warum das Institut den Auftrag annahm. Die Aussage des Klinikums, dass deren Studie nichts mit dem Dieselskandal zu tun habe, findet der Landtagsabgeordnete der Grünen, Matthi Bolte, unlogisch: "Es wurde doch geprüft, ob Stickstoffdioxid am Arbeitsplatz in bestimmter Konzentration schadet. Aber jeder weiß, dass Dieselautos wichtige Quellen solcher Emissionen sind."

Auch Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH), kritisierte die Tests: "In Aachen erlitten 25 gesunde Menschen für vier Stunden die Belastung durch Diesel, aber Hunderttausende Asthmatiker oder Lungenkranke leiden seit Jahren unter zu hohen Stickstoffdioxidwerten. Das ist der viel schlimmere Menschenversuch." Die DUH setzte gestern vor einem Verwaltungsgericht durch, dass Bayern Zwangsgeld zahlen muss, weil in München keine Fahrverbote gegen Dieselbelastung geplant sind.

(RP)
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