Eklat um Steinbach

Bevor Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach ihren Rückzug aus dem CDU-Bundesvorstand bekanntgab, legte sie sich mit der Kanzlerin an – und provozierte große Aufregung.

Berlin Nein, Angela Merkel kann es nicht geahnt haben. Sonst hätte sie zum Auftakt der Vorstandsklausur ihrer Unionsfraktion im Reichstagsgebäude nicht ausgerechnet das Wort "Getöse" gewählt. Sie wolle es nicht mehr. Kein Getöse mehr. Der Beifall der rund 80 Unionspolitiker signalisiert, dass auch diese die Nase von lautstarken Streitigkeiten in Partei und Koalition voll haben. Aber nicht alle. Eine ist unter ihnen, die den nächsten Streit im Sinn und ihren Abgang geplant hat. Einen mit größtmöglichem "Getöse".

Erika Steinbach, die streitbare Vertriebenenpräsidentin, die als hessische CDU-Abgeordnete im Vorstand sowohl der Partei als auch der Fraktion sitzt, bittet ums Wort. Ihr ist nicht nach Schulterklopfen zumute, wie es Fraktionschef Volker Kauder als Grundmelodie der Klausur vorzugeben versucht: Wir sind im weltweiten Nationen-Ranking als Nummer eins aus der Krise herausgekommen, jetzt müssen wir unsere Erfolge nur noch besser verkaufen.

Kein Thema für Steinbach. Ihr Thema heißt Sarrazin. Vor allem, wie die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin mit dem Bundesbankvorstand und seinen Migrationsthesen umgegangen ist. "Grottenverkehrt" sei das gewesen, gibt Steinbach zu Protokoll. Merkel stellt klar, dass ihr Einschreiten mit Sarrazins Gerede über jüdisches Erbgut zusammengehangen habe. Da sei es "bei mir vorbei" gewesen. Schluss. Aus.

Das bringt Steinbach nicht zur Ruhe, sondern noch mehr in Rage. Es sei ihr "egal", ob Sarrazin ein "gemeinsames Gen" der Juden entdeckt oder das später relativiert habe. Entscheidend sei doch, dass sich auch die Union an der "Hexenjagd" gegen Sarrazin beteiligt habe. Einmal in Fahrt, weist sie wenig später auch jede Kritik an den zwei Vertriebenenfunktionären Arnold Tölg und Hartmut Saenger zurück, die sie für den Beirat des Zentrums für Flucht, Vertreibung und Versöhnung benannt hatte.

Das ist das Stichwort für Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Er hat vom Zentralrat der Juden einen Protestbrief bekommen: Weil Tölg und Saenger revanchistische Überzeugungen pflegten, ziehe der Zentralrat seine Mitarbeit bis auf weiteres zurück. Neumann verliest Zitate, etwa die Saenger-Behauptung, wonach Polen bereits im März 1939 mobilemacht habe und der deutsche Angriff im September der zweite Schritt gewesen sei. Steinbach quittiert dies mit der Feststellung, sie könne es "leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat".

Nun schreitet Kauder ein. "Solche Sätze kann ich nicht akzeptieren." Es gibt Beifall für ihn. Und für Neumann. Aber nicht für Steinbach. Merkel schließt sich Kauder an. Und auf Nachfrage versichert Steinbach, dass sie die Kriegsschuld nicht relativieren wolle. Damit ist die Sache für Kauder erledigt. Kein "Aufregungspotenzial", sagt Fraktionsvize Hans-Peter Friedrich.

Er verspekuliert sich. Denn kurz nachdem Steinbach die Klausur verlassen hat, bekommen die Medien Wind von dem Getöse. Die Bombe geht hoch. Sie entzweit die Koalition, weil FDP-Chef Guido Westerwelle sich sogleich gegen Steinbach stellt. Das gerade zur Ruhe gekommene polnisch-deutsche Verhältnis gerät in Aufruhr, und die SPD kann es vor Freude kaum fassen, dass die Scheinwerfer von ihrem Sarrazin-Problem wegschwenken und nun das Steinbach-Problem der CDU grell ausleuchten.

Das schafft Aufmerksamkeit für Steinbachs nächsten Schritt: ihren Rückzug aus dem Parteivorstand: "Ich stehe dort für das Konservative, aber ich stehe immer mehr allein."

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