Christopher Hein "Einrichtung einer Luftbrücke für Flüchtlinge ist denkbar"

Der Deutsche Christopher Hein ist Direktor des italienischen Flüchtlingsrates CIR, einer Hilfsorganisation mit Sitz in Rom.

Stimmt es, dass die humanitäre Operation der italienischen Marine im Mittelmeer den Flüchtlingsansturm noch verstärkt hat?

Hein Ich sehe zwei andere wesentliche Gründe dafür, dass immer mehr Flüchtlinge die Überfahrt wagen. Bereits seit Juli 2013 kommen syrische Flüchtlinge in Massen, weil sie keine Chance mehr in ihrer Heimat haben. Das ist ein Exodus. Zweitens ist die Situation in Libyen immer chaotischer. Es gibt dort überhaupt keine Kontrollen mehr. Das Land und die Küste werden seit dem Bürgerkrieg von Milizen beherrscht, die teilweise als Schlepper arbeiten.

Nach aktueller Rechtslage darf ein Flüchtling nur in dem EU-Staat Asyl beantragen kann, in dem er erstmals das Gebiet der EU betreten hat. Greift diese sogenannte Dublin-Regel?

Hein Besonders Syrer und Eritreer, die fast alle nicht in Italien bleiben wollen, lassen sich hier nicht identifizieren, weil sie diese Regelung kennen. Etwa 30 000 Menschen dürften dieses Jahr bereits weiter nach Norden gereist sein, meist nach Deutschland oder Schweden. Die Dublin-Regel muss geändert werden, um das Chaos zu beenden. Denn legal oder illegal - wer weiter ziehen will, der tut das sowieso.

Müssten die Italiener ihre Grenzen nicht besser bewachen und dafür sorgen, dass die EU-Verordnung eingehalten wird, solange sie gilt?

Hein Die Polizei kann die Feststellung der Personalien nur mit richterlichem Beschluss erwirken. Grenzkontrollen würden die Aufhebung des Schengener Abkommens und der Reisefreiheit innerhalb der EU bedeuten. Wollen wir wirklich wieder Grenzpolizei oder Soldaten an den Übergängen zu Österreich, der Schweiz oder Frankreich?

Wie muss die EU nun Ihrer Meinung nach reagieren?

Hein Klar ist folgendes: Je länger Krisen wie die in Syrien andauern, desto mehr Menschen werden kommen. Man sollte darüber nachdenken, größere humanitäre Aufnahmeprogramme zu starten. Bei 28 EU-Mitgliedsstaaten sollte es da eigentlich Kapazitäten geben. Tschechien oder Polen beteiligen sich bislang gar nicht.

Gibt es noch andere Ideen?

Hein Denkbar ist auch, eine Luftbrücke aus Amman in Jordanien einzurichten. Denn die Menschen kommen sowieso. Übers Meer, über Land, mit Hilfe von Schleppern, illegal. Jordanien hat fünf Millionen Einwohner, derzeit leben dort eine Million geflohene Syrer. Das geht nicht lange gut. Wir befürworten auch geschützte Einreiseverfahren. Warum sollen Flüchtlinge nicht schon in Tripolis oder Kairo an den Botschaften der EU-Länder einen Asylantrag stellen können, anstatt wie bisher ihr Leben zu riskieren?

JULIUS MÜLLER-MEININGEN FÜHRTE DAS INTERVIEW

(RP)
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