Regierung schnürt Drei-Milliarden-Entlastungspaket Einigung über Ölpreis-Ausgleich erzielt

Berlin (dpa). Unter erheblichem Druck der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung am Freitag ein Drei-Milliarden-Paket zur Abfederung sozialer Härten wegen der Sprit- und Ölpreisexplosion geschnürt.

So soll für den Weg zum Arbeitsplatz zum 1. Januar 2001 die steuerliche Autofahrer-Pauschale von 70 Pfennig in eine vom Verkehrsmittel unabhängige Entfernungspauschale von 80 Pfennig umgewandelt werden. Noch vor dem Winter sollen Wohngeld- und Sozialhilfebezieher einen Heizkostenzuschuss von einmalig fünf Mark pro Quadratmeter Wohnfläche erhalten. Für Bafög-Bezieher, die nicht bei den Eltern wohnen, ist dieser auf eine Fläche von 20 Quadratmetern begrenzt. Union und FDP wiesen das von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel (SPD) vertretene Vorhaben als „Flickschusterei“ zurück. CDU und CSU kündigten die Fortsetzung ihrer Anti-Ökosteuer-Kampagne an.

Die Grünen unterstützten das Vorhaben, während der stellvertretende SPD-Fraktionsvizechef Michael Müller die 80 Pfennig Entfernungspauschale als zu üppig bezeichnete. Im Prinzip sei die Einbeziehung auch der übrigen Pendler wie Bahnfahrer der richtige Ansatz, sagte er der „Frankfurter Rundschau“ (Samstag). Umweltpolitisch seien aber 80 Pfennig, die auch für Autofahrer gelten sollen, „überhöht und kontraproduktiv“. Dagegen wurde die neue Pauschale scharf vom Verband der Automobilindustrie (VDA) kritisiert. Sie sei kein wirklicher Ausgleich für die Belastungen aus den extrem hohen Dieselpreisen und gehe daher „am Ziel vorbei“, sagte Verbandspräsident Bernd Gottschalk am Abend in Frankfurt/Main.

Das Bundesfinanzministerium wies indessen Ausgleichsforderungen der Länder für die Maßnahmen, die sie wie die Gemeinden mittragen sollen, zurück. Dabei betonte Ministeriumssprecher Torsten Albig, dass die für Anfang 2001 vor Jahren beschlossene weitere Erhöhung der - nur den Ländern zustehenden - Kfz-Steuer für weniger umweltfreundliche alte und ältere Fahrzeuge „zu wesentlich größeren Belastungen der Autofahrer führen wird als die Ökosteuer“. Betroffen von dieser Erhöhung um acht Mark je 100 Kubikzentimeter seien rund 20 Millionen Fahrzeuge. „Das ist etwa die Hälfte des jetzigen Wagenbestandes in der Bundesrepublik“, sagte der Sprecher. Der „Berliner Zeitung“ (Samstag) sagte NRW-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD): „Die Länder können an den Steuerausfällen im Zusammenhang mit der neuen Pauschale nicht beteiligt werden.“

Zuvor war die Ökosteuer vom Bundeskanzler und Finanzminister Hans Eichel vehement verteidigt worden, während sie erneut die Mineralöl- Multis für die Öl- und Spritpreis-Explosionen verantwortlich machten. In einer Ministerrunde, an der auch die Ressortchefs für Verkehr und Umwelt, Reinhard Klimmt (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne), teilnahmen, hatte Schröder eine endgültige Entscheidung über den Sozialausgleich hergestellt. CDU-Chefin Angela Merkel erklärte, die Maßnahmen reichten nicht aus. „Es gibt nur einen Weg: Die Ökosteuer muss zurückgenommen werden.“ Dagegen sprachen die Vorsitzenden der Grünen, Fritz Kuhn (Partei) und Rezzo Schlauch (Fraktion), von einem „deutlichen Signal für den öffentlichen Verkehr und die Entlastung der Umwelt“. Eichel hob auch die Heizzuschüsse vor dem Winter hervor.

Ob die Maßnahmen Wirklichkeit werden, hängt jetzt wesentlich vom Bundesrat ab. In Unionsländern war am Vortag deutlich geworden, dass sie solche Ausgleichsmaßnahmen ablehnen, weil sie die Ökosteuer insgesamt bekämpfen. Die SPD-Länder allein haben keine Mehrheit in der Länderkammer. Von den 2,9 Milliarden Mark entfallen 1,8 Milliarden auf die Entfernungspauschale, die sich Bund, Länder und Gemeinden nach dem Einkommensteuerschlüssel teilen müssen. Der Heizkostenzuschuss belastet Bund und Länder mit je 550 Millionen.

Am Abend kam der Kanzler mit den Chefs der vier großen Automobilkonzerne VW, DaimlerChrysler, BMW und Porsche zusammen. Im Vordergrund des seit langem anberaumten Gespräches stand dem Vernehmen nach die Entwicklung hin zu weniger Sprit fressenden Fahrzeugen. Trotz der Ölpreissteigerungen lassen sich die meisten Bürger kaum vom Autofahren abhalten, wie am Freitag der erste autofreie Tag zeigte.

Neue Probleme für Schröder kommen von Seiten der Agrarminister der Länder, die eine deutliche Senkung des Steuersatzes für Dieselkraftstoff forderten. Es sei nicht akzeptabel, dass in Frankreich nur noch elf Pfennig, in Deutschland aber 57 Pfennig gezahlt werden sollten.

(RPO Archiv)
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