Analyse Eine liebevolle Feindschaft

Moskau/Washington · Das Verhältnis zwischen den USA und Russland ist schlechter denn je. Einen neuen Kalten Krieg werden die Streitigkeiten nicht auslösen - Moskau und Washington aber wissen den Zwist für sich zu nutzen.

Es ist noch gar nicht so lange her, da glaubten die Beobachter des Weltgeschehens, dass sich das zerrüttete Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Russland nach Jahren gelebter Feindschaft langsam normalisiere. Erstmals seit seinem Amtsantritt als US-Präsident hatte sich Donald Trump beim G 20-Gipfel in Hamburg Anfang Juli mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen. Die beiden Staatsoberhäupter hielten es allem Anschein nach gut miteinander aus: Statt der veranschlagten 30 Minuten sprachen sie zweieinhalb Stunden miteinander. "Ich freue mich auf viele positive Dinge, die für Russland und die USA passieren werden", meinte Trump später.

Waren das Worte des Aufbruchs und der Hoffnung, oder war es nur Täuschung? Sicher ist in jedem Fall: Drei Wochen später ist das Verhältnis zwischen beiden Weltmächten wieder am Boden. Es ist sogar schlechter denn je. Der US-Kongress hatte vergangene Woche ein Sanktionsgesetz gegen Russland beschlossen. Die Antwort aus Moskau kam prompt: Präsident Putin ließ mehr als 700 US-Diplomaten oder Mitarbeiter der Vertretungen ausweisen. Schönheitsfehler am Rande: So viele ausweisungsfähige US-Diplomaten leben gar nicht in Russland. Ein Großteil des Personals an den Botschaften und Vertretungen wird von Russen gestellt. Sie würden dank Putin ihren Arbeitsplatz verlieren.

Droht nun ein neuer Kalter Krieg zwischen Washington und Moskau, der die Welt am Ende gar in einen globalen Krieg führen könnte? Keine der beiden Seiten hat ein Interesse daran. Trotzdem werden die Feindseligkeiten zwischen Washington und Moskau auch künftig liebevoll gepflegt werden. Beide Präsidenten versuchen damit, von innenpolitischen Problemen abzulenken. Bisher hat Donald Trump kein bedeutendes Gesetzesvorhaben umsetzen können. Immer wieder funkten ihm Gerichte dazwischen, und wenn die es nicht waren, ließen ihn Politiker aus den eigenen Reihen im Stich. Nun beschloss der Kongress ein Sanktionsgesetz gegen Moskau, das Trump in dieser Woche unterzeichnete. In Russland zeigte man sich kämpferisch. Die US-Sanktionspolitik sei "kurzsichtig, unrechtmäßig und hoffnungslos", erklärte ein Kreml-Sprecher. Ministerpräsident Dmitri Medwedew hatte kurz nach Verhängung der Sanktionen erklärt, diese seien gleichbedeutend mit einem vollends ausgebrochenen Handelskrieg.

Anfangs noch hatte sich Donald Trump für Lockerungen der schon bestehenden Sanktionen wegen des Krim-Kriegs eingesetzt. Nun muss er umdenken. Er darf sich dabei nicht an der Tagesaktualität orientieren. Es geht im Prinzip um die Formulierung einer neuen amerikanischen Russlandpolitik, die Putins Großmachtfantasien auch Richtung Osteuropa einfängt. Nach dem Krim-Abenteuer ist Russland heute weitgehend isoliert. Seine strategische Lage hat sich nicht sonderlich verbessert, wirtschaftlich dümpelt es dahin.

Die neuen US-Sanktionen sollen nach Lesart des Kongresses eine Antwort auf russische Hacking- und Desinformationsaktionen während des US-Wahlkampfs zulasten der Trump-Gegnerin Hillary Clinton sein. Trump hat solche Einmischungen immer bestritten. Bei dem Gespräch beim G 20-Gipfel in Hamburg habe auch Putin eine Beteiligung abgestritten. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gegeben hat.

Amerikanische Behörden und Sonderermittler sind um Aufklärung bemüht und bringen beide Präsidenten in Verlegenheit. Am Ende könnte gar Trumps Präsidentschaft auf dem Spiel stehen. Die Begeisterung über Trumps Einzug ins Weiße Haus ist daher in Moskau längst verflogen. Ins Schussfeld sind neben Trump vor allem Familienangehörige und Berater geraten, die sich mit hochrangigen Russen getroffen und die "brisantes" Material über Hillary Clinton angeboten hatten.

Dies alles sind Dinge, die das Verhältnis auf Dauer belasten werden. Sie werden das Vertrauen in die Politiker nicht stärken. Doch sie werden keinen Kalten Krieg befeuern, allenfalls die Beziehungen verschlechtern. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa, seit dem Zerfall des Kommunismus sind die ideologischen Gegensätze nicht länger auf der Tagesordnung. In der jungen globalisierten Welt, angesichts von Vernetzung und von nur gemeinsam zu lösenden Problemen wie internationalem Terrorismus und Klimaschutz reift (nicht unbedingt bei Donald Trump) die Erkenntnis der gegenseitigen Abhängigkeit. Das ist im Übrigen auch der Ansatz, den Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) verfolgt, wenn er die USA warnt, ihre jüngste Sanktionspolitik gegenüber Moskau zu benutzen, um wirtschaftlich oder industriepolitisch Trumps Vorgabe des "America first" egoistisch umsetzen zu wollen.

Angesichts der Zuspitzung der Krise zwischen den Israelis und den Palästinensern, dem nach wie vor ungelösten Syrien-Konflikt, dem immer noch nicht geklärten Umgang mit dem Mullah-Regime im Iran und der sich verschärfenden Lage um Nordkorea, das nach Atomwaffen strebt, sind die USA und Russland zur Zusammenarbeit geradezu verpflichtet. Und nicht zu vergessen: China steht in Wartestellung. Peking würde gern in absehbarer Zeit als Global Player auftreten, vor allem wenn sich die USA auf weltpolitischer Bühne zurückhalten.

Das trifft im Übrigen auch auf die EU zu. Angesichts von Flüchtlingsströmen aus dem Nahen Osten und Afrika muss die EU handlungsfähiger und -entschlossener werden. Das wiederum geht nur mit einer funktionierenden Partnerschaft mit den USA. Der Trump-Leitsatz "America first" ist falsch. Die EU und die USA müssen mithelfen, dass es anderen gut geht, dann wird es beiden nicht schlecht gehen. Das ist aber der Gegensatz von Denkkategorien eines Kalten Krieges, der auf Dominanz beruht.

(RP)
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