Johannesburg Eine Hölle mit 54 Stockwerken wird befriedet

Johannesburg · Wie ein Journalist über das gefährlichste Haus Südafrikas schreiben wollte – und warum er stattdessen dort einzog.

Wie ein Journalist über das gefährlichste Haus Südafrikas schreiben wollte — und warum er stattdessen dort einzog.

Als der südafrikanische Journalist Nickolaus Bauer eine Geschichte über den Ponte-Turm, das angeblich gefährlichste Hochhaus Südafrikas, schreiben wollte, hatte er die Story ziemlich genau im Kopf. Nigerianische Gangster, die das Hochhaus wie ein Mafia-Imperium verwalten, simbabwische Prostituierte, die sich für umgerechnet zwei Euro verkaufen und südafrikanische Verzweifelte, die sich aus dem 54. Stock in den Tod stürzten sollten darin vorkommen. Dann besuchte Bauer das Höllenhochhaus in Johannesburg - und schrieb eine ganz andere Geschichte. Mittlerweile lebt er in einer Penthouse-Wohnung im 52. Stock, hofft, dass andere Weiße seinem Beispiel folgen werden und führt Touristen durch seine neue Heimat.

"Seht ihr das Fenster da oben? Bis dahin türmte sich hier vor ein paar Jahren der Müll. Vollgeschissene Windeln, kaputte Möbel, benutze Kondome, vergammelnde Leichen. Alles!" Bauer steht mit elf ausschließlich weißen Männern und Frauen im Bauch des Hochhauses im Stadtteil Hillbrow, das die meisten Reiseführer als No-Go-Area verteufeln. Doch Bauer hat im letzten Jahr über 200 Touristen und Johannesburger durch "sein" Hochhaus und "seinen" Kiez geführt.

"Ich lebe seit fast einem Jahr in Ponte - und ich lebe noch. Ich lebe sogar sehr gut. Für 5400 Rand (umgerechnet 450 Euro) wohne ich in einer 150 Quadratmeter großen Penthouse-Wohnung", erzählt Bauer. Und Bauer hat nette Nachbarn. 3500 Nachbarn. 3486 von ihnen sind schwarz. Bauer, Sohn eines österreichischen Vaters und einer weißen sambischen Mutter, fällt hier auf wie ein bunter Hund. Er war vor zehn Monaten der dritte Weiße, der in den Wolkenkratzer zog, dreizehn weitere sind inzwischen seinem Beispiel gefolgt.

Geplant war der Ponte-Tower als Luxus-Wolkenkratzer

Der 1975 eröffnete Ponte-Tower sollte zunächst ein Luxus-Wolkenkratzer für reiche Weiße sein, ein 173 Meter hohes Insignium der Apartheid. Doch als das Regime den Geldhahn für den "grauen" Stadtteil Hillbrow, im dem Schwarze und Weiße friedlich miteinander lebten, zudrehte, begann der Verfall, ab Mitte der 90er-Jahre wurde Ponte zum Epizentrum der Kriminalität.

Der elfte und zwölfte Stock und die Tiefgarage waren damals Bordelle, in dem Prostituierte ihre Körper und Dealer ihr unreines Crack verkauften. Der einstige Stolz Johannesburgs war zu einem 54 Stockwerke hohen Slum geworden. Hoch über der Stadt regierte die Unterwelt in einem Gebäude, in dem es oft weder fließend Wasser noch Strom, dafür jedoch immer Waffen und Drogen gab. Aus den Fenstern stürzten sich immer wieder Verzweifelte. Die Frauen sprangen meist in den sich wie ein Schlund öffnenden Innenhof, die Männer meist nach außen. Nicht immer war klar, ob die auf dem Beton Zerschmetterten gesprungen waren oder gestoßen wurden.

Polizisten wagten sich nur noch in Hundertschaften ins Gebäude, manche Bewohner trauten sich aus Angst vor Vergewaltigung, Raub und Schießereien wochenlang nicht aus ihren Wohnungen. Südafrikanische Politiker schlugen vor, den heruntergekommenen Turm in ein Gefängnis zu verwandeln. Dazu, so sagten sie, hätte man einfach nur die Ausgänge verrammeln müssen.

Doch vor zwölf Jahren kaufte ein Investor die Schrottimmobilie und übertrug dem Ex-Polizisten Dannie Celliers und seiner Frau Elma den wohl härtesten Hausmeisterjob der Welt. Das weiße Pärchen zog ins Horrorhochhaus und führte Law und Order ein. Celliers ließ den Unrat aus dem Innenhof entfernen und eine Sicherheitsschleuse mit Fingerabdruck-Scanner installieren. Seitdem kommen nur noch registrierte Bewohner rein.

Sein Nachbar besitzt einen Fallschirm — für den Notfall

Die Strategie ging auf, die Kriminalität zurück. Ganz ungefährlich ist der Wolkenkratzer trotzdem noch nicht. "Vor kurzem hatten wir drei Tage keinen Strom. Viele Bewohner haben auf Petroleum- oder Gasöfen gekocht. Wenn hier Feuer ausbricht, wird Ponte zu einem riesigen Hochofen", befürchtet Bauer. Sein Nachbar wäre dann vielleicht einer der wenigen Überlebenden. Für den Notfall liegt neben seinem Bett im 52. Stock ein Fallschirm.

Nickolaus Bauer gefällt sich in seiner Rolle als Vorkämpfer für ein besseres Hillbrow, doch vor seiner neuen Nachbarschaft hat auch er Respekt. Bevor er mit seiner Touristen-Gruppe das bewachte Grundstück verlässt, sagt er: "Wir gehen jetzt da raus. Die meisten Leute sind nett und freuen sich, dass Ihr ihren Stadtteil besucht. Aber ein paar von ihnen sehen in Euch vielleicht auch elf laufende iPhones. Passt gut auf." Von allen Teilnehmern hatte er sich zuvor unterschreiben lassen, dass er nicht verantwortlich ist, sollte einer von ihnen bestohlen, verletzt oder getötet werden.

Vorbei an einem ausgebrannten Haus, vor dem weinende Frauen stehen, an Plakaten, die für Penis-, Brust- und Hüftvergrößerung werben, an "Saug es weg"-Postern, die schmerzfreie, 30-Minuten-Abtreibungen anpreisen, an Bettlern, die Mülleimer durchsuchen, an einem Mann, der die Nacht in einer Regentonne verbracht hat, an Betrunkenen, die orientierungslos durch die Straßen taumeln, einem Bordell, das sich als deutscher Biergarten tarnt und Marktständen, an denen Pornos und Spinat angeboten werden, führt Bauer seine Schützlinge durch Hillbrow. An fast jeder Straßenecke zählt er wie ein Lehrer auf Klassenfahrt durch. Die Teilnehmer sind leicht zu identifizieren. Sie sind die einzigen Weißen.

Die Tour endet in einer Spelunke, in der mehr Joints als Zigaretten geraucht werden. Am Samstagmittag ist der Laden bereits ordentlich voll. Genau wie viele der ausschließlich männlichen Besucher, die sich fast alle an einer Bierflasche festhalten. Bauer schleust seine Gäste in einen Nebenraum, auf dem sie mit Plastikstühlen einen Kreis bilden. Ein Sitzkreis wie eine Wagenburg. Nach einem Drink verabschiedet Bauer sich mit einer Bitte. "Erzählt Euren Freunden, dass Ihr in Ponte und Hillbrow wart. Erzählt, dass dies kein Kriegsgebiet ist und dass hier ganz normale Menschen wohnen."

(RP)
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