Berlin Eine Frage von Leben und Tod

Berlin · Die Abgeordneten im Bundestag wechseln üblicherweise von Parteigezänk auf ernsthafte Argumente, wenn es um grundlegende ethische Probleme geht. Das war auch bei der Sterbehilfe so. Gestritten wurde dennoch heftig.

Die Debatten um ethische Entscheidungen im Bundestag sind schon oft als Sternstunden des Parlaments in die Geschichte eingegangen. So sind die Auseinandersetzungen um den Embryonenschutz und um die Spätabtreibung im kollektiven Gedächtnis geblieben. Aber die dreistündige Debatte um die Sterbehilfe gestern war keine Sternstunde, wenn auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den Abgeordneten hinterher zu Recht attestierte, sie sei eindrucksvoll gewesen.

Was machte den Unterschied? Die ethischen Auseinandersetzungen im Bundestag waren bislang stets von hohem Respekt gegenüber der Meinung des Anderen geprägt. Im kontroversen Austausch der Argumente kam stets durch, dass die Gewissenshaltung des Andersdenkenden zu achten ist. In die Sterbehilfedebatte schlichen sich hingegen auch die üblichen Misstöne politischer Gegner ein.

Beispiel: Als die Grüne Renate Künast, die den Gesetzentwurf vertrat, wonach Sterbehilfe-Vereine legalisiert werden sollten, mit ihrer Rede begann, drehte sich Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) in der ersten Reihe weg und unterhielt sich. Er war nicht laut und störte die Rednerin auch nicht wirklich. Künast, die wusste, dass er ihre Sicht der Dinge ablehnt, mahnte dennoch gleich zweimal in scharfem Ton: "Herr Kauder, jetzt hören Sie mal zu."

Dass die Debatte für ein ethisches Thema ungewöhnlich scharf geriet, mag auch an der zugespitzten öffentlichen Auseinandersetzung der vergangenen Wochen gelegen haben. Die Aufmerksamkeit für das Thema war groß. Am Ende wurde eine echte gesellschaftliche Debatte geführt. In Umfragen sprachen sich mehr Menschen für eine Liberalisierung der Sterbehilfe aus als für eine Einschränkung. Dies bestätigten die Antragsteller, die ärztliche oder sogar organisierte Sterbehilfe gesetzlich verankern wollten.

Der nun beschlossene Gesetzentwurf, der Sterbehilfe-Vereine verbietet, galt von Anfang an als Favorit unter den zuletzt fünf konkurrierenden Vorschlägen. Die Gegner des Antrags, die vor allem die Rolle der Ärzte klarer definieren wollten, mobilisierten insbesondere in den Medien. Vielfach wurden die Schicksale Sterbenskranker erzählt, denen am Ende des Lebens nicht nur starke Schmerzen und Hilflosigkeit, sondern auch etwa ein qualvoller Erstickungstod droht. "Leiden im Sterben ist sinnlos", betonte Peter Hintze (CDU) im Laufe der öffentlichen Auseinandersetzung mehrfach - auch gestern noch einmal im Bundestag. Es gebe Grenzen, da könne auch Palliativmedizin nicht mehr helfen, sagte er. Den Antragstellern um Michael Brand und Kerstin Griese, die sich am Ende durchsetzten, warf er vor, sie seien die "Minderheit der Moral". Sein Gesetzentwurf erhielt 128 Stimmen.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der auf der Seite der Befürworter eines Verbots der organisierten Sterbehilfe steht, warnte vor einer Normalisierung der Selbsttötung. "Suizid-Assistenz ist keine Behandlungsvariante", betonte er. Griese, die den nun beschlossenen Gesetzentwurf mit ausgearbeitet hat, sagte, niemand solle unter Druck geraten, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden.

Am Ende gewannen die Abgeordneten um Brand und Griese überraschend deutlich mit 360 von 602 abgegebenen Stimmen. Ihre Gegner hatten in dieser Woche angekündigt, gemeinsam gegen den Antrag zu stimmen. "Besser kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz", sagte der SPD-Politiker und Mediziner Karl Lauterbach, der wie Hintze eine klare Regelung erreichen wollte, unter welchen Bedingungen Ärzte Hilfe zum Suizid leisten dürfen. Die Stimmung wonach keine Regelung besser sei, als eine einschränkende, hatte sich in der vergangen Woche breitgemacht. So tauchte auch erst am Montag der fünfte Antrag auf, in dem Katja Keul (Grüne) dafür warb, die bislang bestehende Regelung beizubehalten, dass Hilfe beim Suizid grundsätzlich nicht verboten ist. "Die angebliche Rutschbahn zur aktiven Sterbehilfe ist weit und breit nicht zu sehen."

Am anderen Ende des Meinungsspektrums hatte Patrick Sensburg (CDU) für ein gänzliches Verbot der Suizid-Hilfe geworben: "Der Druck auf alte, schwache und kranke Menschen würde zunehmen, wenn es kein Verbot zur Hilfe zur Selbsttötung gäbe."

(qua)
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