Berlin Eine Frage der Vernunft

Berlin · Vereinzelte Lecks trüben die Stimmung bei Union und SPD. Die Spitzen haben das Ziel aber fest im Blick: Grünes Licht für die Groko.

Andrea Nahles verschlägt es die Sprache. Ganz wahrhaftig. Mit hörbar angegriffenen Stimmbändern sagt die SPD-Fraktionsvorsitzende gestern Morgen in Berlin: "Ich kann nur alle in der Union auffordern, den Jamaika-Modus jetzt endgültig abzustellen." Aber so groß, dass sie deswegen gleich sprachlos wäre, ist der Ärger über den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) auch wieder nicht. Er hatte öffentlich ein wenig damit geprahlt, wie schnell seine Klima-Fachgruppe bei den Sondierungen mit der SPD in Berlin fertig geworden ist.

Viel sensibler ist aber die Tatsache, dass die Inhalte der Einigung auf Papierform durchgestochen wurden. Von wem auch immer. Das belastet alle drei Parteien, deren Spitzen bis Donnerstagabend ein Sondierungspapier mit den Themen von 15 Arbeitsgruppen vorlegen wollen. Und nachdem Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) seine Truppe zur Ordnung gerufen hatte, sich die Unterhändler wieder beruhigt hatten und hier und da zuversichtliche Signale sendeten, flattert gleich die nächste Indiskretion auf den Medienmarkt, wonach es zum Beispiel ein Fachkräftezuwanderungsgesetz geben soll. Das ist zwar nicht überraschend, führt bei dem einen oder der anderen dann aber doch dazu, die Stimme zu erheben, weil jemand gegen das Schweigegelübde verstoßen hat. Sondierungen können also durchaus heiser machen.

Schnell wird spekuliert, wer ein Interesse am Scheitern auch der Groko-Verhandlungen haben könnte, nachdem schon die Jamaika-Sondierungen in die Grütze gefahren wurden. Die CSU sei es, wird geunkt, weil es dort Kräfte gebe, die die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel weghaben wollten. Das sei wohl ein schlechter Scherz, sagt einer von den Christsozialen. Man sitze Stunde um Stunde und rede sich den Mund fusselig, wie Schwarz-Rot klappen könnte. Die CDU stört sich noch an den Ratschlägen der an den Sondierungen gar nicht beteiligten SPD-Politiker Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann.

Das alles trübt die Stimmung, verdirbt sie aber nicht. Jedenfalls noch nicht. Hinter den Kulissen geht es straff voran. Es zeichneten sich die großen Linien in der Steuer-, der Finanz-, Energie-, Renten- und Sozialpolitik und in fast allen anderen Bereichen ab, heißt es. Da, wo es noch keine Einigung gebe, könnten - wie üblich - Ziele und Kommissionen vereinbart werden, die das detailliert ausarbeiten sollen. Wie etwa die geplante Rentenkommission. Jede Partei bekomme einen Punkt, von dem sie nicht abrücken könne, ohne ihr Gesicht in den eigenen Reihen zu verlieren. Da müssten sich Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz am Donnerstag entscheiden, wenn es in die Schlussrunde für das Sondierungspapier gehe.

Für die CDU war die Messlatte bisher immer die Schwarze Null, also keine Neuverschuldung sowie keine Steuererhöhungen. Allerdings hat sie beim Bundesparteitag in Essen 2016 in ihre Steuerpolitik ein unmerkliches Schlupfloch eingebaut. Die Delegierten beschlossen, "grundsätzlich" keine Steuern zu erhöhen. Schon damals sagten die Experten in der Partei, dass es ihr damit ermögliche an einer Stelle Steuern zu erhöhen und an anderer Stelle den davon betroffenen Bürgern wieder Geld zukommen zu lassen. So könnte es aussehen, wenn es einen Kompromiss mit der SPD bei der Anhebung des Spitzensteuersatzes geben sollte. Die SPD beharrt in der Steuerpolitik auf ihrem Konzept, das im Kern ein späteres Greifen des Spitzensteuersatzes und leichte Mehrbelastungen für höchste Einkommen vorsieht. Für die Länder soll das Modell aufkommensneutral sein, also keine Einnahmelücken bringen, weshalb man in der SPD von einer Zustimmung des Bundesrates ausgeht.

Am Freitag sollen die SPD-Gremien über die Sondierungen beraten und über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beschließen. Das letzte Wort haben dann jedoch die Delegierten beim Parteitag am 21. Januar in Bonn. Die CDU hat für Freitag ebenfalls Präsidium und Bundesvorstand einberufen.

Die SPD braucht einen vorzeigbaren Sondierungserfolg, um in Bonn eine Mehrheit für Koalitionsverhandlungen zu bekommen, heißt es bei den Sozialdemokraten. Mit Spannung wird erwartet, wie sich die Parteilinken und Jusos zu den Sondierungsergebnissen verhalten werden. Sie hatten eine Fortsetzung der großen Koalition abgelehnt und ein Kooperationsmodell ins Gespräch gebracht, bei dem es keine Fortsetzung des bisherigen Bündnisses gäbe. In der CDU besteht Zuversicht, dass am Ende alles glatt geht. Eine große Koalition habe zwar nicht die emotionale Bedeutung wie ein Jamaika-Bündnis. Dafür stehe sie für Vernunft.

(jd, kd)
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