Analyse Eine Frage der Ehre

Essay Die Affäre um Generalbundesanwalt Range zeigt: Wenn persönliche Werte auf rechtsstaatliche Verfahren treffen, funkt es gewaltig. Ranges letzter Angriff war eine kleine Revolution. Oder anders: juristischer Rock 'n' Roll.

Harald Range ist ein bisschen wie Kurt Cobain. Der Sänger der Grunge-Band Nirvana erschoss sich im April 1994 in seinem Haus in Seattle. Cobain hinterließ einen Abschiedsbrief mit dem Neil-Young-Zitat "It's better to burn out than to fade away". Lieber ausbrennen als dahinschwinden.

Nun lebt Harald Range gottlob noch, und langes Leben sei ihm gewünscht. Doch die Aktion, mit der der Generalbundesanwalt vergangene Woche seine sofortige Versetzung in den Ruhestand provozierte, war eine Art Autoaggression - politischer Suizid. Aber zugleich juristischer Rock 'n' Roll. Mit Ranges Frontalangriff auf Bundesjustizminister Heiko Maas wurde der Rauswurf, der schon in der Luft lag, unausweichlich. Wer seinem Dienstvorgesetzten, der Weisungsrecht genießt, "unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz" vorwirft, der ist nicht zu halten. Range stürzte über die Ermittlungen, die er gegen den Blog Netzpolitik.org wegen Landesverrats angestrengt hatte, und darüber, dass das Justizministerium in der Sache anderer, ganz anderer Meinung war.

Das eigentlich Bemerkenswerte an der Entlassung ist die Begründung, die Range nachschob: einerseits ganz trocken-fachlich; man könne nicht einfach ein Beweisstück (in diesem Fall: ein Gutachten) durch ein anderes ersetzen. Andererseits aber geradezu archaisch: "Ich wollte nicht wie ein geprügelter Hund vom Hof schleichen, sondern aufrecht durchs Tor gehen", sagte Range der "Frankfurter Allgemeinen". Mit anderen Worten: Es ging um die Ehre.

Und die verträgt sich, zumindest in Teilen, schlecht mit den umständlichen Mechanismen des Rechtsstaats. Jedenfalls bei Range, der so etwas wie einen neuen Rechtsbegriff schuf: Amtsehre. Ehre gehört eigentlich in den Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; Beleidigung etwa ist eine Straftat gegen die Ehre. Ämter haben, juristisch gesehen, keine Ehre. Wie Range argumentierte bisher nur Bundespräsident Horst Köhler, der 2010 zurücktrat, weil die Kritik an seinen Äußerungen den "Respekt für sein Amt" vermissen lasse.

Range fühlte sich in seiner Amtsehre verletzt, weil er im Machtduell mit dem Minister den Kürzeren ziehen musste. Sich so zu fühlen, ist nur konsequent, denn Recht und Ehre kollidieren im aufgeklärten Staat zwangsläufig. Dafür muss man nicht den "Ehrenmord" bemühen, also die Tötung eines, meist einer Verwandten, weil angeblich die Familienehre in Gefahr ist. "Ehrenmorde" sind nicht nur sprachlich ein Ungetüm, sondern stehen auch inhaltlich auf der höchsten Perversionsstufe des Rechts.

Es reicht völlig, an Helmut Kohl zu erinnern, der die Namen seiner CDU-Spender nicht nennen will, weil er ihnen sein "Ehrenwort" gegeben habe - obwohl die Spenden illegal waren. Auch das Beispiel Christian Wulff illustriert die Reibungen zwischen Rechtsstaat und Ehrendenken. Wulff, der als Bundespräsident weniger wegen seltsamer Details um einen Hauskredit zurücktreten musste als wegen katastrophalen Krisenmanagements, wurde vom Staatsanwalt angeboten, die Ermittlungen wegen Vorteilsannahme könnten gegen Zahlung von 20 000 Euro eingestellt werden - ein gängiges Verfahren zur Entlastung der Justiz.

Wulff lehnte ab, zog vor Gericht und erfocht einen Freispruch: Ehre gerettet. Vom befreundeten Filmproduzenten David Groenewold, der ebenfalls den Deal ausschlug, ist der Satz überliefert: "Meine Ehre ist nicht käuflich." Und auch seinen "Ehrensold", also die Ruhegelder, bekommt Wulff, und zwar weil er nach Auffassung des Bundespräsidialamts aus politischen und nicht aus persönlichen Gründen zurücktrat.

Wenn hohe Worte wie Ehre im Zusammenhang mit der Strafprozessordnung fallen, dann lässt das die Republik zu Recht aufhorchen, denn dann durchdringen sich für kurze Zeit zwei Sphären: der Verfahrensstaat und der nicht weiter kürzbare, subjektive Rest unseres Wertesystems, der in Paragrafen und Grundgesetz-Artikeln nicht aufgeht. Amtsehrenhändel à la Range haben in dieser Schnittmenge und nur darin Platz. Denn ein Rechtsstaat, dessen Akteure keine politischen Seitengedanken haben, kommt gut allein mit individueller Ehre als Rechtsbegriff aus; in der schummrigen alten Welt der Duelle und Satisfaktionen aus rein individueller Ehrpusseligkeit ist dagegen der Staat nur hinderlich, siehe die Diskussionen über angebliche "No-go-Areas" für die Duisburger Polizei.

Für den Verfahrensstaat steht in der Netzpolitik-Affäre Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, der die Ermittlungen mit einer Anzeige und einem ersten Gutachten in Gang brachte. Für die Unduldsamkeit gegenüber dem Verfahrensstaat stehen Teile der Öffentlichkeit, die schon wieder die Demokratie in Gefahr sahen und mit dem Finger auf 1962 wiesen: "Netzpolitik" tot, Freiheit tot. So einfach ist es aber nicht.

Mittendrin stand Range und konnte nicht anders: an Verfahren gebunden, dem Minister unterstellt, in seiner Ehre als Generalbundesanwalt verletzt. So blies der graue Herr zum letzten Angriff, weil der ihm ehrenvoller erschien, als die Entlassung abzuwarten (siehe Kurt Cobain), und stellte zugleich das Verfahren auf den Kopf. Denn eigentlich hat sich Harald Range selbst entlassen; Maas hatte nur noch zu vollziehen.

Schwer zu sagen, wer nun der Sieger ist: Maas, weil er das letzte Wort behielt? Oder Range, weil er die Initiative wiedergewann? So sehr haben die Colts jedenfalls lange nicht mehr geraucht. Für Range spricht, dass man ihm eins kaum vorwerfen kann: politische Weinerlichkeit. Auf die hat seit zehn Jahren Heide Simonis das Copyright, die eine große Koalition in Kiel nicht wollte und hernach in einer wackligen Ampel-Konstellation viermal an der Wiederwahl als Ministerpräsidentin scheiterte. "Und was wird dann aus mir?" - dieser unwürdige Satz wäre von Range undenkbar gewesen. Gut so. Ehrlich.

(RP)
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